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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies
Autoren: Robert B. Parker
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Ring, keine Probleme. Wenn man es richtig betrachtete, war das die Freiheit. Er versuchte, dieses erregende Gefühl so lange wie möglich zu halten, es anwachsen zu lassen.
    Er suchte sich ein Quartier in Flagstaff, 250 Meilen nördlich von seinem Geburtsort, und ging in die Motelbar, um zu Abend zu essen. Er bestellte einen Scotch auf Eis und ein mit Hähnchenbrust belegtes Croissant. Ein paar Typen in karierten Hemden standen an der Bar, mit so dünnen Krawatten, wie man sie in Arizona trug, mit einer Silberspange statt einem Knoten. Hinter der Bar befanden sich zwei Frauen in weißen Blusen mit schwarzen Krawatten und kurzen roten Jacketts. Die eine war eine dicke Blonde, die andere eine schlanke, dunkelhaarige Lateinamerikanerin, die in fünf Jahren genauso fett sein würde. Hinter der Bar gab es einen weiteren Raum mit Tischen, einer Tanzfläche und den üblichen Discjockey-Utensilien. Im Moment war es dort noch leer. Auf dem ausgeschalteten Neonschild über dem DJ-Pult stand »Coyote Lounge«. Er nippte an seinem Scotch und spürte, wie sich die kalte Hitze von seiner Speiseröhre her ausbreitete. Ein großer, gutgebauter Mann Mitte dreißig betrat die Bar. Er trug einen großen Stetson und Kopfhörer. Er bewegte sich leicht im Takt der Musik, die nur er hören konnte. Er hatte die Ärmel seines karierten Hemdes hochgekrempelt,trug Jeans und zweifarbige Cowboystiefel aus Eidechsenhaut. Der Walkman steckte in seiner Brusttasche und das Kabel teilte sich unterhalb des Kinns. Er sah aus, als hätte er gerade geduscht und sich rasiert. Der Duft seines Rasierwassers eilte ihm voraus. Vielleicht ein Stammgast. Jesse beobachtete ihn. Es war nichts Besonderes an ihm, Jesse beobachtete Leute einfach bei allen Gelegenheiten. Der Cowboy bestellte ein alkoholfreies Bier. Als es serviert wurde, ließ er das Glas stehen, nahm die Flasche, schlenderte durch die Bar und nahm alles in Augenschein.
    »Wann geht die Disco los?«, fragte er eine von den Barfrauen. Er sprach laut, vielleicht, weil er sich sonst wegen der Musik in den Kopfhörern selbst nicht verstanden hätte. Er trank das alkoholfreie Bier aus der Flasche, die er direkt am Hals angefasst hatte.
    »Um 9 Uhr«, sagte die Lateinamerikanerin. Sie sprach ohne Akzent.
    Der Cowboy ließ seinen Blick über die Bar, über Jesse und die zwei Bier trinkenden Typen in den karierten Hemden und die beiden Barfrauen schweifen.
    »Kennt jemand ein Lokal, wo schon was los ist?«
    Einer der Biertrinker schüttelte den Kopf, ohne aufzusehen. Niemand sonst schien die Frage zur Kenntnis zu nehmen. Alle haben es gehört, dachte Jesse. Vielleicht liegt’s daran, dass er so laut redet. Oder daran, dass er so aussieht wie ein Dressman in einem Katalog für Westernklamotten. Oder daran, dass er hier in dieser kleinen Provinzbar herumläuft, als wäre er im Ritz. Woran auch immer es lag, jeder hier wusste, dass er einer von den Typen war, die, ermutigt durch eine Antwort,viel zu lange weiterreden würden. Der Cowboy nickte vor sich hin, als wären seine Vorurteile bestätigt worden. Dann ging er in den leeren Tanzsaal, lief dort herum und betrachtete die Karikaturen von irgendwelchen Figuren, halb Mensch, halb Kojote, die an den Wänden hingen. Dann stellte er seine halb ausgetrunkene Flasche Alkoholfreies auf die Bar, warf einen letzten Blick in die Runde und ging nach draußen.
    »Typen gibt’s«, sagte die blonde Barfrau.
    Ein Arschloch, dachte Jesse. Ein gutaussehendes Arschloch, aber genauso einsam und verlassen wie alle anderen. Sein Sandwich kam. Er aß es, weil er ein paar Nährstoffe nötig hatte, trank zwei weitere Scotch, zahlte und ging auf sein Zimmer. Wenn sie den Tanzsaal öffneten, würde nichts passieren, was Jesse interessieren könnte.
    In seinem Zimmer nahm er die Reiseflasche Black-Label-Whisky aus dem Koffer und schenkte sich etwas davon in den kleinen Zahnputzbecher aus Plastik ein, den er im Badezimmer gefunden hatte. Der Weg durch den langen Korridor, um Eis zu holen, war ihm zu weit, also trank er seinen Scotch warm. Den Fernseher ließ er aus. Stattdessen stellte er sich ans Fenster und blickte nach draußen auf die hohen Kiefern, die den Hügel hinter dem Motel bedeckten. Er war in Tucson aufgewachsen, als die Brady Family angesagt war, und obwohl die Stadt höchstens vier oder fünf Stunden entfernt lag, hätte sie sich genauso gut auf einem anderen Planeten befinden können. Tucson bedeutete Sonne, Wüste und Hitze, sogar im Januar. Hier oben war jetzt
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