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Das dunkle Lied des Todes

Das dunkle Lied des Todes

Titel: Das dunkle Lied des Todes
Autoren: Bjarne Reuter
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Summen zu hören, das sich dem Taktschlag der Metronome und den strikten Tonleitern für Klavier, Cello und Violine unterwarf. Die Schule hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie für eine kleine Elite aus den leistungsstärksten und ehrgeizigsten Schülerinnen und Schülern gedacht war, kurz gesagt, den Auserwählten.
    Die mysteriöse Geschichte des verheißungsvollsten Jahrgangs der Schule beginnt an einem Nachmittag Ende Mai. Die Pavillons sind menschenleer und allein das ewigeGurren der Tauben, die einander auf dem Dachfirst den Hof machen, ist zu hören. Eine Frau überquert den Rasen zwischen Straße und Schule. Ihre hohen Absätze versinken im feuchten Gras, und als sie in den Schatten der Rosskastanie tritt, nimmt ihr weites Hemd einen fast unterseeischen Farbton an. Vor der Treppe schiebt sie sich die Sonnenbrille auf die Stirn, rafft Ordner und Ringbuch zusammen und stößt mit dem Rücken die Tür auf. Danach eilt sie durch die Aula, passiert den Wald aus Notenständern und schaut auf die Uhr, als sie die Glockenschläge der Schlosskirche hört. Im selben Moment wird die Tür am gegenüberliegenden Ende des Saals geöffnet. Die Frau lächelt und sagt sich, Pünktlichkeit sei eine Tugend, und Lars Bromsen sehe aus, wie sie sich ihn vorgestellt hatte. Groß, dünn und energisch, erfüllt von dem oberflächlichen Selbstvertrauen des frisch examinierten Lehrers. Er ist sogar gut angezogen, ohne geckenhaft zu wirken, und entspannt, ohne Arroganz zu zeigen. Am Telefon hatte er sich als Lars Emil Bromsen vorgestellt, Sport und Schlagzeug, und sie hatte geantwortet: Eva Bergman, Deutsch und Triangel. So hatten sie sich ausgedrückt. Kein Schnickschnack, keine Übertreibung. Ein vielversprechender Anfang einer guten Zusammenarbeit.
     
    »Willkommen, du siehst aus, wie du dich anhörst. Am Telefon, meine ich. Wir können hier reingehen.«
    Eva öffnete die Tür zum leeren Lehrerzimmer und legte ihr Ringbuch ab.
    »Kaffee?«
    »Danke nein. Ich halte nichts von Kaffee, oder genauer gesagt von Koffein.« Bromsen setzte sich aufs Sofa und schlug ein Bein über das andere.
    Eva lächelte und sagte, die Zeit auf der Klassenreise könnte möglicherweise sehr lang werden und sie werde dann einen Eimer Kaffee brauchen können.
    »Schön, dass wir zu zweit sind«, sagte sie. »Ich würde ja allein mit ihnen fertig, aber für die Jungen ist es gut, wenn auch ein Mann dabei ist. Ansonsten gelten sie als Musterklasse. Die beste aller Zeiten. Fachlich ungeheuer stark. Die Hälfte von ihnen wird sofort aufs Konservatorium überwechseln, wenn sie so weit sind. Setz dich. Kaffee? Nein, das hab ich ja schon gefragt. Hast du den Minibus?«
    »Das ist erledigt, und ich habe auch den entsprechenden Führerschein, wenn du daran gedacht haben solltest.«
    »Das ist doch hervorragend.«
    Eva wühlte in ihren Papieren und spürte, wie Hitze ihren Rücken hochjagte. Stress, dachte sie, einfach nur Stress. Sie suchte nach einem Erfrischungstuch und merkte, wie vor ihren Augen alles flimmerte. Hinlegen. Sie musste sich hinlegen. Nur für einen Moment. Zweimal tief durchatmen, spüren, wie ihr Puls sich beruhigte. Bromsen war sicher total in Ordnung, nur schade, dass er diese stechenden Augen hatte. Es war unmöglich, normal mit ihm zu reden, wenn er dermaßen glotzte.
    »Ich weiß nicht, warum er mit uns reden will«, sagte Eva, »Kelberg meine ich.«
    Bromsen ließ sich zurücksinken.
    »Er hat mich gestern Abend angerufen.«
    »Da siehst du’s. Und was wollte er?«
    »Mich über die Gruppe und die nicht ganz gewöhnliche Situation informieren.«
    Eva schlug das Ringbuch mit den Klassenbildern auf.
    »Was für eine Situation?«
    Bromsen machte eine vage Handbewegung.
    »Ich habe gehört, dass du lange krankgeschrieben warst.«
    »Ja, und?«
    »Nichts und.«
    »Aber was hat er gesagt?«
    »Er hat gesagt, dass es gut ist, dass du wieder hier bist, und dass er sich darüber freut, dass ich so kurzfristig einspringen kann.«
    Eva steckte sich eine Zigarette an und ärgerte sich darüber, dass sie sich eine Zigarette ansteckte, denn sie hatte doch aufgehört. Aber in letzter Zeit hatte eine Kippe gutgetan, jetzt, wo sie vor der Klassenreise so viel erledigen musste.
    »Ich rauche nicht normal. Ich meine, ich rauche normalerweise nicht, und ich hab die Sache im Griff. Ich hoffe, das stört dich nicht. Gehen wir sie durch?«
    Bromsen rutschte auf seinem Stuhl nach vorn.
    »Ich war gestern im Konzert«, sagte er. »In der Aula. Ja,das war
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