Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das dunkle Lied des Todes

Das dunkle Lied des Todes

Titel: Das dunkle Lied des Todes
Autoren: Bjarne Reuter
Vom Netzwerk:
plötzlich eine seltsame Eingebung, die sie erschaudern ließ. Der Mann war blind. Aber er konnte unmöglich blind sein. Falls er seinen Laden nicht bis in die kleinste Einzelheit hinein kannte. Natürlich war er nicht blind. Sein Blick ging nur nach innen.
    »Sonst noch?«
    »Vielleicht sollte ich   …«
    Sie verstummte, plötzlich unsicher, was sie sagen wollte. Doch, sie wollte sagen, dass sie Kerzen brauchte. Das stand auf ihrer Liste. Eine Menge Kerzen. Aber stattdessen sagte sie, am Abend würden noch vier Kollegen kommen.
    »Wir werden mit fünf Lehrern im Haus sein. Zwei bringen ihre Hunde mit. Rottweiler. Ja, ich mag die ja nicht gerade, aber es ist gut, sie zu haben, wenn man   …«
    Sie unterbrach sich, schob die Hand in die Tasche, fand die Pfefferminzpastillen, schüttelte die Schachtel, um eine herauszuholen, und ließ den gesamten Inhalt auf den Boden fallen, bat um Entschuldigung für ihreUngeschicklichkeit, öffnete die Zigarettenpackung und schob sich eine Senior Service zwischen die Lippen, wühlte in ihren Taschen nach einem Feuerzeug und starrte den Kaufmann an, der ein Streichholz angerissen hatte.
    »Danke«, sie zog heftig an der Zigarette, verschluckte sich am Rauch, kehrte dem Tresen den Rücken zu und hustete, konnte aber stammeln, dass sie nicht normal rauchte, und korrigierte das zu, dass sie normalerweise nicht rauchte.
    Der Kaufmann blies das Streichholz aus.
    »Ein Glas Wasser?«
    »Nein, danke. Oder doch, ja, wenn es nicht zu viel   …«
    Sie hatte »Umstände macht«, sagen wollen, aber der Kaufmann war schon im Hinterzimmer verschwunden.
    Eva schloss die Augen, holte tief Luft und starrte den Kaufmann an, der mit einem Becher Wasser vor ihr stand.
    »Das ging aber schnell«, murmelte sie, trank einen Schluck und stellte den Becher weg.
    »Unser Wasser schmeckt Ihnen vielleicht nicht.«
    »Doch, doch, es schmeckt großartig.«
    »Nach Eisen. Unser Grundwasser schmeckt nach Eisen.«
    »Ich brauche auch einige Stearinlichter.«
    Der Kaufmann nahm den Becher. »Meinen Sie Kerzen?«
    »Ja, Kerzen meine ich.«
     
    Sie ließ die Schachtel mit den Kerzen in den Kofferraum fallen und stellte die Tüte mit den Lebensmitteln auf die Rückbank. Der Kaufmann stand noch immer hinter dem Tresen und starrte heraus. Ob er sie ansah, war unmöglich zu sagen. Sein finnischer Blick war überraschend vage, fast leer. Vielleicht spielte er gern den Blinden.
    »Verdunkelter Finne. Das bist du, ein verdunkelter Finne, und jetzt kannst du deiner Frau, deinem Nachbarn oder deinem Hamster erzählen, dass das Frauenzimmer, das in Pemba wohnen wird, Virginiazigaretten raucht und Starkbier trinkt. Das wird sich auf den Höfen hier wie ein Lauffeuer verbreiten. Falls es hier Höfe gibt. Wenn es hier in dieser Gegend überhaupt aufgeklärte Menschen gibt.«
     
    Aber da lag es dann. Nach drei Kilometern und zweihundert Metern Fahrt. Das alte Wrack von Haus. Genau wie sie sich’s vorgestellt hatte. Es erinnerte an ein verfallenes Pächterhaus in den Südstaaten der USA.   Nur eine Veranda und zwei Schaukelstühle fehlten. Die Bäume, die auf der Südseite wuchsen, waren von Wind und Wetter so übel zugerichtet, dass sie unmöglich zu identifizieren waren, es sei denn, als eine besondere Kiefernart, aber Kiefern waren es doch nicht. Wenn sie nicht so knorrig gewesen wären, hätte man sie für exotisch halten können. Das Haus war weiß, oder eher grauweiß, mit meergrünen Blenden. Höher und schmaler, als es auf dem Foto ausgesehen hatte. Aber die Lage war unvergleichlich.Direkt am Meer, meilenweit keine Nachbarn. Einfach ungestört.
    Sie ließ die Autotür zufallen und sah sich den Seenebel an, der sich um das Fundament des Hauses schlich.
    »Sie werden dich lieben«, sagte sie, »und ich werde es lieben, im Kamin Feuer zu machen und mir ein doppeltes Dortmunder einzuschenken, wenn ich die letzte Zigarette des Tages rauche.«
    Sie trat in den Windfang, wo Laub aus dem letzten Herbst herumlag. Es gab einen aufdringlichen Geruch nach Fäule, frischem Wind, Salz und Teer.
    Sie schob den Schlüssel ins Schloss und sah, wie die Tür aufglitt. Das Abendlicht fiel wie ein Fächer in die Halle. Eva lächelte, fühlte fast, dass das Haus sie von oben, von unten und von den Seiten her beobachtete.
    »Eine liebevolle Umarmung. Man dankt für das Willkommen   …«
    Im selben Moment klingelte ihr Mobiltelefon.
    »Hier ist Eva   … hallo, Bromsen. Wie geht’s? Ja, ich stehe auf der Türschwelle von Pemba und es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher