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Das dunkle Labyrinth: Roman

Das dunkle Labyrinth: Roman

Titel: Das dunkle Labyrinth: Roman
Autoren: Anne Perry
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des Kahns, was es den Ruderern erschwerte, Kurs zu halten.
    Orme zögerte mehrere Augenblicke, ehe er antwortete: »Keine Ahnung, Mr. Monk, und das ist die reine Wahrheit. Möglich ist es. Könnte aber auch ein Unfall gewesen sein.« Seine Stimme wurde noch leiser. »Oder sie hat ihn gestoßen. Das ist ja schnell passiert.«
    »Was ist Ihre Meinung?« Monk brachte die Worte kaum heraus, so heftig klapperte er mit den Zähnen.
    »Sie sollten sich besser ans Ruder setzen, Sir«, sagte Orme ernst. »Bringt das Blut auf Trab.«
    Monk nahm den Vorschlag an. Von Ranghöheren wurde nicht erwartet, dass sie wie gewöhnliche Constables ruderten, aber die waren auch nicht steif gefroren und in Gefahr, sich den Tod zu holen. Er ging zur Mitte des Bootes und übernahm eines der Ruder neben Orme. Es dauerte mehrere Schläge, bis er ein Gefühl für den Rhythmus bekam, aber dann ging es ihm schnell besser, und das Boot gewann nicht nur an Fahrt, sondern glitt auch ruhiger durch das Wasser. Lange fiel kein Wort mehr. Sie passierten die Blackfriars Bridge und hielten auf die Southwark Bridge zu, die nur dank ihrer Lichter in der Ferne zu erkennen war. Der Wind raubte ihnen schier die Luft zum Atmen.
    Monk hatte die Stellung bei der Flusspolizei auch deshalb angenommen, weil er das als Ehrenschuld auffasste. Vor acht Jahren war er ohne jede Erinnerung in einem Krankenhaus aufgewacht. Fakt für Fakt hatte er seine Identität rekonstruiert und Dinge an sich entdeckt, die ihm nicht alle gefielen. Damals war er Polizist gewesen, und sein unmittelbarer Vorgesetzter, Superintendent Runcorn, hatte ihn auf den Tod nicht ausstehen können. Ihr Verhältnis war bald so zerrüttet, dass niemand so recht wusste, ob Monk rausgeworfen worden war oder vorher seine Kündigung eingereicht hatte. Da aber das Aufdecken von Verbrechen und die Lösung von Fällen der einzige Beruf war, den er beherrschte, und er von irgendetwas leben musste, hatte Monk sich entschieden, dieselbe Arbeit auf privater Basis zu betreiben.
    Im Herbst des letzten Jahres hatten sich die Umstände allerdings dramatisch geändert. Geldnot hatte ihn gezwungen, den Fall Louvain anzunehmen, seine erste Arbeitserfahrung an der Themse. Dabei hatte er Durban kennen gelernt und in die Geschehnisse auf dem Schiff Maude Idris mit seiner verhängnisvollen Fracht mit hineingezogen. Jetzt war Durban tot. Vor seinem Ende hatte er Monk zu dessen Verblüffung als seinen Nachfolger auf der Polizeiwache von Wapping empfohlen.
    Dass Monk früher mit der Führung von Untergebenen gescheitert war, hatte er unmöglich wissen können. Monk war ein brillanter, aber auch kompromissloser Einzelgänger, dem es noch nie leicht gefallen war, mit anderen zusammenzuarbeiten, egal, ob er Befehle erteilte oder empfing. Runcorn hätte Durban all das sagen können. Er hätte ihn auch wissen lassen können, dass Monk – ob tapfer oder nicht – es einfach nicht wert war, dass man sich Mühe mit ihm gab. Andererseits hatten Zeit und Umstände und vor allem seine Ehe mit Hester Latterly Monk zugänglicher gemacht. Hester hatte zusammen mit Florence Nightingale im Krimkrieg als Krankenschwester gedient und war, anders als die meisten jungen Frauen, ausgesprochen freimütig. Sie liebte ihn mit bedingungsloser Treue und verblüffender Leidenschaft, was sie freilich nicht daran hinderte, ihm offen zu sagen, was sie dachte. Dennoch hätte Runcorn Superintendent Farnham dringend geraten, die Stelle des erfahrenen und allseits bewunderten Durban mit jemand anderem zu besetzen.
    Doch Durban hatte Monk gewollt, und Monk brauchte Arbeit. Während seiner Zeit als unabhängiger Ermittler hatte Hesters Freundin, Lady Callandra Daviot, Interesse daran gezeigt, an Monks Fällen mitzuarbeiten, und das Geld gehabt, um ihn in kargen Monaten zu unterstützen. Inzwischen war Callandra nach Wien gezogen, und Monk stand vor der schweren Wahl, sich ein regelmäßiges und verlässliches Einkommen zu verschaffen oder sich damit abzufinden, dass Hester in die private Pflege zurückkehrte. Letzteres hätte allerdings zur Folge gehabt, dass sie je nach den Erfordernissen ihrer Patienten oft auch in deren Häusern lebte und er sie kaum noch zu Gesicht bekam. Zu einer solch verzweifelten Entscheidung war er einfach nicht bereit. Und darum saß er nun auf der Ruderbank des Polizeiboots und legte sich mit seinem ganzen Gewicht in die Riemen, während sie unter der London Bridge hindurchfuhren und südwärts auf den Tower und die Wapping Stairs
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