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Das dunkle Labyrinth: Roman

Das dunkle Labyrinth: Roman

Titel: Das dunkle Labyrinth: Roman
Autoren: Anne Perry
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gehen bestimmt erst heim und ziehen sich trockene Kleider an, was?« Er zog die Augenbrauen hoch.
    Doch Monk hatte seine Lektion bereits gelernt. »Ich habe ein trockenes Hemd und einen Mantel im Spind. Das reicht mir vollauf.«
    Orme wandte sich ab, aber nicht bevor Monk sein Grinsen gesehen hatte.
     
    Monk und Orme nahmen einen Hansom zur westlich von Wapping gelegenen High Street. Am Fluss flackerten unregelmäßig die Lichter, und der starke Wind trug den Geruch von Salz und Tang in die Gassen zwischen den Häusern am Ufer hinauf. Die zwei Männer umrundeten den massiven Tower, um dann wieder der Lower Thames Street längs des Ufers zu folgen. Auf der Southwark Bridge überquerten sie schließlich den Fluss und fuhren durch ein eleganteres Wohnviertel, bis sie den St. George’s Circus erreichten, einen gro ßen Platz, von dem sechs Straßen abzweigten. Zur Charles Street wie auch zum Walnut Tree Walk war es von dort nur noch ein Katzensprung.
    Den Angehörigen von Toten die traurige Nachricht zu überbringen gehörte zu den Polizeiaufgaben, die alle hassten, und oblag stets den höheren Beamten. Es wäre nicht nur feige, sondern auch eine grobe Geschmacklosigkeit den Hinterbliebenen gegenüber gewesen, sie an einen Untergebenen zu delegieren.
    Monk zahlte und entließ den Hansom-Fahrer. Er hatte keine Ahnung, wie lange es dauern würde, bis er seine Pflicht erfüllt hatte, und wen oder was Orme und er überhaupt vorfinden würden.
    Das Haus, in dem Toby Argyll gelebt hatte, wirkte prächtig, war aber allem Anschein nach in eine Vielzahl von Einzelzimmern aufgeteilt worden, die sich eher für Junggesellen als für Familien eigneten. Eine Dame mit schwarzem Kleid und Schürze öffnete ihnen. Beim Anblick zweier Fremder auf ihrer Schwelle wurde sie sichtlich nervös. Orme hatte ein freundliches, gewöhnliches Gesicht, aber er trug nun mal die Uniform der Wasserpolizei. Monk war größer und von der Eleganz eines Mannes, der sich seiner Ausstrahlung bewusst ist. Sein schmales Gesicht mit der kräftigen Nase strahlte Autorität aus. Es war ein Gesicht, das Intelligenz und sogar Feinfühligkeit verriet, aber nur wenige empfanden es als beruhigend.
    »Guten Abend, Ma’am«, sagte er sanft. Seine Stimme war wohltönend, seine Ausdrucksweise gepflegt. Es hatte ihn viel Mühe gekostet, seinen Akzent loszuwerden, der sonst sofort seine Herkunft aus der Provinz Northumbria verraten hätte. Ein Gentleman zu sein war damals sein leidenschaftlicher Wunsch gewesen. Diese Sehnsucht hatte er schon lange nicht mehr, aber die Musik in seiner Stimme war geblieben.
    »Guten Abend, Sir«, sagte die Frau misstrauisch.
    »Mein Name ist Inspector Monk, und das ist Sergeant Orme von der Wasserpolizei. Ist das die Adresse von Toby Argyll?«
    Sie schluckte. »Ja, Sir. Sagen Sie bloß nich’, dass es in einem von den Tunnel da unten’nen Unfall gegeben hat.« Ihre Hand flog zum Mund, wie um einen Schrei zu ersticken. »Ich kann Ihnen da nich’ helfen, Sir. Mr. Argyll is’ nich’ daheim.«
    »Nein, Ma’am, einen Unfall hat es unseres Wissens nicht gegeben, aber leider eine Tragödie. Es tut mir entsetzlich leid. Lebt Mr. Argyll hier allein?«
    Sie starrte ihn an. Ihr rundes Gesicht war bleicher geworden. Allmählich dämmerte ihr, dass die zwei Beamten mit der schlimmsten aller möglichen Nachrichten gekommen waren.
    »Möchten Sie nicht reingehen und sich setzen?«, fragte Monk.
    Sie nickte und wich langsam zurück. Die Beamten folgten ihr durch den Flur in die Küche. Dort duftete es nach Essen, und Monk registrierte zerstreut, wie lange seine letzte Mahlzeit zurücklag. Die Frau sank auf einen der Holzstühle mit hoher Lehne, stützte die Ellbogen auf den Tisch und verbarg das Gesicht in den Händen. Aus den Töpfen auf dem riesigen schwarzen Herd stieg Dampf auf, und aus dem Backofen strömte köstlicher Bratengeruch. An der Wand aufgehängte Kupferpfannen funkelten im Gaslicht, und an der Decke hingen zu Ringen geflochtene Zwiebeln.
    Es hatte keinen Sinn, das noch länger hinauszuzögern, von dem sie bereits wusste, dass es unvermeidlich war.
    »So leid es mir tut, aber ich muss Ihnen mitteilen, dass Mr. Argyll von der Waterloo Bridge gestürzt ist«, erklärte Monk. »Mrs …?«
    Sie sah ihn mit bleichem Gesicht und vor Entsetzen geweiteten Augen an. »Porter«, half sie ihm. »Ich hab mich um Mr. Argyll gekümmert, seit er hier eingezogen is’. Wie konnte er nur von der Brücke runterfallen? Das macht doch überhaupt keinen
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