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Das dunkle Labyrinth: Roman

Das dunkle Labyrinth: Roman

Titel: Das dunkle Labyrinth: Roman
Autoren: Anne Perry
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Sinn! Dort sind überall Geländer! Da fällt man doch nich’ runter! Wollen Sie mir etwa sagen, dass er nich’ mehr ganz nüchtern war und rumgeklettert is’ oder sonst was Dummes angestellt hat?« Sie zitterte jetzt vor Zorn. »Das glaub ich Ihnen nich’! So einer war er nämlich nich’! Ein nüchterner, fleißiger junger Mann war er. Sie haben den Falschen rausgefischt! Sie haben’nen Fehler gemacht, nix anderes!« Sie reckte herausfordernd das Kinn vor. »Sie hätten besser aufpassen sollen. Man jagt doch den Leuten nicht unnötig einen Schrecken ein!«
    »Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass er betrunken war, Mrs. Porter.« Monk ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Der junge Mann, den wir gefunden haben, hatte Dokumente dabei, die ihn als Toby Argyll, wohnhaft in dieser Straße, auswiesen. Er war ungefähr von meiner Größe oder vielleicht ein bisschen kleiner, blond und bis auf einen Schurrbart glatt rasiert.« Er hielt inne. Ihre weit aufgerissenen, starren Augen und der zusammengekniffene Mund verrieten ihm bereits, dass er Argyll beschrieben hatte. »Es tut mir sehr leid«, wiederholte er.
    Ihre Lippen zuckten. »Was is’ passiert? Wenn er nich’ betrunken war, wie kommt’s dann, dass er in den Fluss gefallen is’? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn!« Sie forderte Monk immer noch heraus, klammerte sich an die letzte Hoffnung, dass das, was sie gerade gehört hatte, vielleicht doch nicht stimmte, wenn sie es nur heftig genug leugnete.
    »Er war mit einer jungen Dame zusammen«, fuhr Monk fort. »Sie schienen zu streiten oder ein erhitztes Gespräch zu führen. Sie klammerten sich aneinander und gerieten ins Schwanken, dann kippte sie gegen das Geländer. Sie kämpften noch kurz...«
    »Was soll das heißen: ›sie kämpften‹?«, fragte Mrs. Porter. »Wollen Sie sagen, dass sie sich geschlagen haben oder was?«
    Das war noch schlimmer, als er erwartet hatte! Was hatten die zwei eigentlich getan? Was genau hatte er gesehen? Er versuchte, all seine bisherigen Vorstellungen davon, seine Bemühungen, das Gesehene zu verstehen und zu interpretieren, aus seinem Bewusstsein zu verbannen und sich nur an das zu erinnern, was er tatsächlich gesehen hatte. Die zwei Gestalten waren auf der Brücke gewesen, die Frau näher beim Geländer. Stimmte das wirklich? Ja. Der Wind war von hinten gekommen. Er hatte gesehen, wie sich ihre Röcke blähten und den Geländerpfosten streiften. Sie hatte mit den Armen gerudert und dann dem Mann die Hände auf die Schultern gelegt. Eine Liebkosung? Oder hatte sie ihn wegstoßen wollen? Der Mann hatte den Arm bewegt. Nach hinten und oben. Um sich von ihr loszureißen? Oder um sie zu schlagen? Dann hatte er sie gepackt. Um sie zu retten oder zu stoßen?
    Mrs. Porter wartete. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Obwohl sie in ihrer wohlig warmen, nach Essen riechenden Küche saß, zitterte sie.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Monk langsam. »Sie waren über uns und aus einer Entfernung von fast siebzig Metern im Zwielicht nicht deutlich zu sehen.«
    Sie wandte sich zu Orme um. »Waren Sie auch dabei?«
    »Ja Ma’am«, antwortete dieser. Er stand stocksteif in der Mitte des blitzblank geschrubbten Raumes. »Mr. Monk hat Recht. Je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger bin ich mir sicher, was ich eigentlich gesehen hab. Es war die Zeit, in der sie bald die Lichter anzünden. Da glaubt man, dass man noch was sieht, aber man kann sich täuschen.«
    »Wer war sie?«, drängte Mrs. Porter. »Die Frau, die mit ihm runtergestürzt is’.«
    »Gab es jemanden, den Sie kennen?«, fragte Monk zurück. »Für den Fall, dass sie sich stritten.«
    Die Frau wirkte eindeutig unglücklich. »Na ja … ich sag’s nich’ gern …« Ihre Stimme erstarb.
    »Wir wissen, wer es war, Mrs. Porter«, versicherte ihr Monk. »Wir müssen nur wissen, was geschehen ist, damit niemandem die Schuld für etwas gegeben werden kann, das er gar nicht getan hat.«
    »Jetzt kann ihnen ja keiner mehr wehtun.« Die Tränen strömten ihr ungehemmt übers Gesicht. »Sie sind tot, die armen Seelen.«
    »Aber sie haben Angehörige, die sie lieben«, erwiderte Monk. »Und dann muss geklärt werden: Können sie in gesegneter Erde beigesetzt werden oder nicht?«
    Sie stieß ein Schluchzen aus.
    »Mrs. Porter?«
    »War’s Miss Havilland?«, fragte sie heiser.
    »Was können Sie mir über sie sagen?«
    »War’s wirklich sie? Na ja, geht ja gar nich’ anders. Er hat keine andere mehr
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