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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau
Autoren: Tracy Chevalier
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Augen leuchteten gelb, als ob eine Kerze dahinter angezündet worden wäre, und er bewegte sich in seltsamen, unbeholfenen Sprüngen. Erst als er so nah war, daß Maman beinahe seinen fettigen Pelz berühren konnte, sah Isabelle den Schaum vor seinem Maul und verstand. Jeder hatte Tiere gesehen, die von der Tollwut befallen waren:ziellos umherrennende Hunde, denen der Schaum von den Mäulern troff, eine neue Bösartigkeit in den Augen, das Gebell erstickt. Sie mieden das Wasser; der sicherste Schutz vor ihnen außer einer Axt war ein randvoller Wassereimer. Maman und Isabelle hatten nichts bei sich außer Kräutern, Leinen und einem Messer.
    Als er sprang, hob Maman instinktiv den Arm, und rettete damit zwanzig Tage ihres Lebens, doch sie wünschte später, sie hätte ihn schnell und gnadenvoll ihre Kehle durchbeißen lassen. Als er zurückfiel, als das Blut Mamans Arm hinabströmte, sah der Wolf Isabelle kurz an und verschwand geräuschlos im Dunkeln.
    Während Maman ihrem Mann und ihren Söhnen von dem Wolf mit den Kerzen in den Augen erzählte, wusch Isabelle die Bißwunde mit einem Sud von Schäfertäschel aus und legte Spinnweben darüber, bevor sie den Arm mit weicher Wolle verband. Maman weigerte sich, ruhig sitzenzubleiben, und bestand darauf, die Pflaumen zu ernten, im Küchengarten zu arbeiten, als hätte sie nicht die Wahrheit in den Augen des Wolfes leuchten sehen. Nach einem Tag war ihr Unterarm auf die gleiche Größe angeschwollen wie ihr Oberarm, und die Stelle um die Wunde herum wurde schwarz. Isabelle bereitete ein Omelett, gab Rosmarin und Salbei hinein und sprach ein stummes Gebet darüber. Als sie es ihrer Mutter brachte, fing sie an zu weinen. Maman nahm ihr die Schüssel aus der Hand und aß stetig, die Augen auf Isabelle gerichtet, den Tod im Salbei schmeckend.
    Als sie fünfzehn Tage später etwas Wasser trank, begann sich ihre Kehle krampfartig zusammenzuziehen, und das Wasser ergoß sich über die Vorderseite ihres Kleides. Sie blickte auf den dunklen Fleck auf ihrer Brust und setzte sich in die Spätsommersonne auf die Bank neben der Tür.
    Das Fieber kam schnell, und so heftig, daß Isabelle betete, der Tod möge bald kommen, um sie zu erlösen. Aber Maman kämpfte, im Dämmerzustand schwitzend und schreiend, vierTage lang. Als am letzten Tag der Priester aus Le Pont de Montvert kam, um die letzte Ölung zu spenden, versperrte Isabelle mit einem Besen in der Hand den Eingang und fauchte den Priester an, bis er ging. Erst als Monsieur Marcel kam, ließ sie den Besen fallen und trat zur Seite, um ihn hereinzulassen.
    Vier Tage später kehrten die Zwillinge mit der zweiten Zypresse zurück.
    Die Menge, die sich vor der Kirche versammelt hatte, war weder an Siege gewöhnt, noch verstand sie sich auf Feierlichkeiten. Der Priester hatte sich vor drei Tagen davongeschlichen. Sie waren jetzt sicher, daß er weg war – der Holzfäller Pierre La Forêt hatte ihn, mit all seinen Habseligkeiten auf dem Rücken, einige Meilen weit weg gesehen.
    Der Schnee des frühen Winters bedeckte den Boden mit einer dünnen Gaze, die an manchen Stellen von Blättern und Steinen durchbrochen war. Der zinnfarbene Himmel im Norden hinter dem Gipfel des Mont Lozère verriet, daß noch mehr kommen würde. Eine weiße Schicht lag auf den schweren Granitziegeln des Kirchendaches. Das Gebäude war leer. Keine Messe war mehr gehalten worden seit der Ernte: Die Zahl der Kirchgänger war zurückgegangen, seit Monsieur Marcel und seine Anhänger mehr Selbstvertrauen erlangt hatten.
    Isabelle stand bei ihren Nachbarn und hörte Monsieur Marcel zu, der vor der Tür auf und ab ging, würdevoll in schwarzer Kutte und mit silberfarbenem Haar. Nur die rotgefleckten Hände paßten nicht recht zu seinem gebieterischen Auftreten, denn sie erinnerten daran, daß er schließlich doch nur ein Schuster war.
    Immer wenn er sprach, richtete sich sein Blick auf einen Punkt über den Köpfen der Leute.
    – Dieser Ort der Gottesanbetung war einst eine Stätte der Verderbtheit. Nun ist er in sicheren Händen. Er ist in euren Händen! Er machte eine Bewegung, als würde er säen. Ein Murmeln ging durch die Menge.
    – Er muß gereinigt werden, fuhr er fort. Von seinen Sünden gereinigt, von diesen Götzen! Er deutete auf das Gebäude hinter sich. Isabelle starrte zur Jungfrau hinauf, das Blau hinter der Statue war verblaßt, hatte aber immer noch die Kraft, sie zu rühren. Sie hatte bereits ihre Stirn und ihre Brust berührt, als sie merkte,
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