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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau
Autoren: Tracy Chevalier
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dreimal, als ob zweimal nicht genug wäre!«
    Erst spät am Tag stiegen wir vom Berg herab. Wir wollten zuerst auf einen Drink zur Bar und dann unserer verschiedenen Wege gehen: Mathilde und Sylvie nach Mende, Elisabeth zu ihrem neuen Haus in der Nähe von Alès, Monsieur Jourdain zu seinem Haus um die Ecke von der mairie , und Jean-Paul nach Lisle-sur-Tarn. Nur ich wußte nicht, wohin ich gehen würde.
    Elisabeth und ich gingen zusammen zu den Autos.
    »Willst du mit zu mir kommen?« fragte sie. »Komm gleich mit, wenn du willst.«
    »Bald. Ich habe ein paar – Dinge, die ich noch erledigen muß. Aber ich komme gern, in ein paar Tagen.«
    Bei den Autos sahen sie und Mathilde mich erwartungsvoll an. Jean-Paul sah zum Horizont.
    »Äh, fahrt schon mal voraus«, sagte ich zu ihnen. »Ich fahre mit Jean-Paul. Wir treffen euch dort.«
    »Ella, du kommst mit zu uns nach Hause, oder?« fragte Sylvie ängstlich. Sie fing an, meinen Arm zu streicheln.
    »Mach dir keine Sorgen um mich, chérie .«
    Als die Autos verschwunden waren, fanden Jean-Paul und ich uns auf beiden Seiten seines Autos wieder. »Können wir das Dach aufmachen?« fragte ich.
    »Bien sûr.«
    Wir nahmen die Klammern auf beiden Seiten ab, rollten das Dach zurück und befestigten es. Als wir fertig waren, lehnte ich mich an das Auto und ließ meine Arme auf dem Fensterrahmen ruhen. Jean-Paul lehnte sich an die andere Seite.
    »Ich muß dir etwas sagen«, sagte ich. Ich schluckte an dem Klumpen in meinem Hals.
    »Auf englisch, Ella.«
    »Gut. Auf englisch.« Ich verstummte wieder.
    »Weißt du«, sagte er, »ich hatte keine Ahnung, daß eine Frau mich so unglücklich machen könnte. Fast zwei Wochen bist du weggewesen. Seitdem konnte ich nicht schlafen, ich konnte nicht Klavier spielen, ich konnte nicht arbeiten. Die alten Frauen inder Bibliothek machen sich über mich lustig. Meine Freunde denken, daß ich verrückt bin. Claude und ich streiten uns dauernd über unwichtige Sachen.«
    »Jean-Paul, ich bin schwanger«, sagte ich.
    Er sah mich an, sein ganzes Gesicht war eine einzige Frage. »Aber wir –« er hielt inne.
    Ich dachte nochmals daran, zu lügen, und daran, wieviel leichter es wäre. Ich wußte, daß er es sofort durchschauen würde.
    »Es ist von Rick«, sagte ich leise. »Es tut mir leid.«
    Jean-Paul atmete tief ein. »Es gibt nichts, was dir leid tun muß«, sagte er auf französisch. »Du wolltest doch ein Kind haben, nicht?«
    »Oui, mais –«
    »Dann gibt es nichts, was dir leid tun muß«, wiederholte er auf englisch.
    »Wenn es vom falschen Mann ist, gibt es genug, was einem leid tun kann.«
    »Weiß Rick davon?«
    »Ja. Ich hab’s ihm neulich erzählt. Er will, daß wir nach Deutschland ziehen.«
    Jean-Paul hob die Augenbrauen. »Und was willst du ?«
    »Ich weiß nicht. Ich muß darüber nachdenken, was für das Baby am besten ist.«
    Jean-Paul richtete sich auf und ging auf die andere Straßenseite, wo er stehenblieb und über die Felder von Ginster und Granit blickte. Er pflückte einen Zweig Ginster und zerdrückte die bitteren gelben Blüten zwischen den Fingern.
    »Ich weiß«, flüsterte ich, so daß er mich nicht hören konnte. »Es tut mir leid. Es ist einfach zuviel, nicht wahr?«
    Als er zum Auto zurückkam, sah er resolut, fast stoisch aus. Das ist seine größte Stunde, dachte ich. Überraschend lächelte ich.
    Jean-Paul lächelte zurück.
    »Was am besten ist für die Mutter, ist meist auch am besten für das Baby«, sagte er. »Wenn du unglücklich bist, wird es das Baby auch sein.«
    »Ich weiß. Aber ich habe keine Ahnung mehr, was am besten ist für mich. Wenn ich wenigstens wüßte, wo mein Zuhause ist. Kalifornien ist es nicht mehr. Und Lisle – ich glaube nicht, daß ich dahin zurückgehen kann. Wenigstens nicht jetzt. Oder die Schweiz. Jedenfalls nicht Deutschland.«
    »Wo fühlst du dich am wohlsten?«
    Ich sah mich um.
    »Hier«, sagte ich. »Genau hier.«
    Jean-Paul öffnete seine Arme weit.
    »Alors, tu es chez toi. Bienvenue.«

Epilog
    Ich sah zum Himmel hinauf, zu einem blassen Blau, ausgewaschen von der späten Septembersonne. Der Tarn war noch warm; ich lag auf dem Rücken, meine Arme waren seitlich im Wasser ausgestreckt, meine Brüste flach, und mein Haar trieb um mein Gesicht wie Blätter im Fluß.
    Ich sah an mir herunter: Mein Bauch fing gerade an, sich über das Wasser zu wölben. Ich umschloß die Wölbung mit meinen Händen.
    Vom Ufer her kam Papierrascheln.
    »Was ist mit Isabelle
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