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Das Drachentor

Titel: Das Drachentor
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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die Männer auf der Flucht vor Alasar waren … alles war Revyn gleich. Mit geschlossenen Augen wartete er darauf, Yelanahs Stimme in seinen Gedanken zu hören. Wo bist du nur …
    Tage vergingen. Revyn lag wie leblos zwischen den anderen Verwundeten. Hin und wieder wurde einer der Männer vom Wagen gezerrt, wenn er über Nacht gestorben war, und bald war Revyn mit zwei anderen Kriegern allein auf dem Karren.
    Abends, wenn der lange Menschenzug anhielt, hob jemand Revyns Kopf und flößte ihm Suppe ein. »Halte durch, Bruder«, sagte ihm eine Männerstimme. »In Logond werden deine Wunden geheilt.«
    Revyn ließ sich wortlos zurücksinken. Er wusste, dass keine einzige seiner Wunden in Logond heilen würde.
    Als sie aus den Wäldern traten, lag die Stadt mit ihren umliegenden Dörfern so friedlich und still im tiefen Schnee, als habe nie eine Schlacht stattgefunden. Die Männer brachten erleichtert das letzte Stück hinter sich, doch Revyn fühlte sich wie gelähmt vor Trauer.
    In Logond empfingen sie die Stadträte mit grauen Gesichtern, aber niemand schien sich um sie zu scheren. Stattdessen liefen Menschen aus den Häusern, suchten nach ihren Angehörigen und befragten die Überlebenden. Revyn stellte sich vor, wie das Klagen der Mütter und das Weinen der Kinder nicht nur die Verstorbenen, sondern auch das Schicksal der Drachen betrauerte. Er wünschte, er könnte sterben, um das Elend nicht länger zu hören.
    »Revyn! Revyn!« Hände berührten ihn. Er öffnete die Augen und blickte in ein vertrautes Gesicht - über ihn beugte sich Lilib, Lilib von den Zähmern! Sie strich sich die Kapuze vom Kopf, damit er sie besser erkennen konnte.
    »Du erinnerst dich doch noch an mich? Ich dachte, du wärst längst in Myrdhan gestorben! Du bist ja verletzt - komm, ich helfe dir. Hast du hier jemanden, zu dem ich dich bringen soll, einen Verwandten?« Revyn schüttelte benommen den Kopf, als Lilib ihm half, sich aufzurichten.
    »Oben im Stadtteil der Soldaten und Drachenkrieger haben sie das Lazarett erweitert«, erzählte Lilib ihm. »Lass dich nicht hinbringen. Mehr Männer sterben dort als gesund werden.« Sie sah ihm eine Weile schweigend ins Gesicht. Ihr mitleidvoller Blick ließ ihn erahnen, wie schlimm er aussah. »Ich nehme dich einfach mit zu mir nach Hause, ja? Es ist gleich um die Ecke. Dann versuche ich, einen Arzt für dich aufzutreiben.«
    Vorsichtig schlang sie einen Arm um seine Seite und stützte ihn. Dann machten sie sich langsam und humpelnd auf den Weg. Revyn drehte sich noch einmal zu den Männern um. Es war das letzte Mal, dass er jemanden sah, der die schwarze Uniform eines Drachenkriegers trug.
     
    Lilib wohnte in einem kleinen Stadthaus, das in einem Gässchen nahe dem Tor stand. Das Licht einer Straßenlaterne drang durch das Fenster in den ersten Stock und überzog die schlichten dunklen Holzmöbel mit seinem gelben Glanz. Hier hatte Lilib Revyn in ein Bett gebracht. Die Erschöpfung überkam ihn, während er halb dem friedlichen Klappern von Töpfen und Geschirr aus der Küche lauschte. Draußen begann es zu schneien. Als Lilib mit heißem Wasser zurückkam, um seine Wunde zu waschen, war er bereits eingeschlafen. Sachte, sodass er nicht aufwachte, wischte sie ihm die Blut- und Tränenspuren vom Gesicht.
    Als Revyn zu sich kam, unterhielten sich leise Stimmen im Zimmer. Mehrere Kerzen spendeten Licht. Es duftete nach Suppe. »Da, er ist wach! Revyn, hörst du mich?«
    Er drehte den Kopf. Schreck durchschoss ihn - an seinem Bett stand Jurak! Dann waren Capras und Twit wahrscheinlich auch nicht fern. Revyn stützte sich mühsam auf seine unverletzte Schulter. »Was willst du hier?«
    Jurak sah ihn verwirrt an. Dann trat Lilib neben ihn und nahm Juraks Hand.
    »Ich dachte, ihr wärt befreundet. Freust du dich nicht, ihn zu sehen?«
    »Hat Twit dich etwa geschickt, um mich zu suchen?«, fragte Revyn ihn verächtlich.
    Jurak schüttelte den Kopf. »Ich habe Twit nicht mehr gesehen, seit er in die Schlacht gezogen ist.«
    Lilib setzte sich neben ihn aufs Bett. »Jurak hat sich hier versteckt. Ich habe ihn vor ein paar Wochen getroffen, weil ich wissen wollte, was aus dir geworden ist. Und wir haben geredet. Verstehst du, Jurak ist nicht in den Krieg gezogen. Er ist aus der Armee geflüchtet. Jetzt wohnt er hier.« Revyn starrte die beiden ungläubig an.
    »Wahrscheinlich hältst du mich für einen Feigling«, sagte Jurak zögernd. »Aber manchmal kann man nichts Besseres sein als ein Feigling. Ich
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