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Das Drachentor

Titel: Das Drachentor
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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schneller, heftiger und immer heftiger, bis die Erde vibrierte, und im ohrenbetäubenden Trommelklang ihrer Waffen stürmten sie aufeinander zu. In den vordersten Reihen galoppierten Krieger auf Drachen mit gefesselten Flügeln. Schreiend und mit kurzen Peitschen trieben sie ihre Tiere zu Sprüngen an, die ein rennender Mann nicht halb so schnell zurücklegen konnte. Feuerpfeile hagelten auf die Heere herab, die herunterstürzenden Drachen fielen wie Schatten aus dem weißen Himmel.
    Dann stießen beide Heere aufeinander, Myrdhaner gegen Haradonen, überspülten und vereinten sich wie tosende Fluten in Gebrüll, Metall und Blut.
    Es waren die Haradonen, die am Abend des Tages den Sieg davontrugen.

Der Krieg

Aufbruch
    Der Morgen graute. Schwere Wolken hingen über den Hügelländern, denn zu dieser Jahreszeit regnete es viel. Die Nordwinde trugen bereits den Geruch von Schnee mit sich und erinnerten Alasar daran, dass der Winter kurz bevorstand. Er fröstelte und zog sich die Fellweste enger um die Brust. Für gewöhnlich reisten im Herbst die Händler von Dorf zu Dorf, um Brennholz zu verkaufen, das man weiter nördlich in den Wäldern fand. Wagenkolonnen, über und über beladen mit Holzscheiten, hielten in den Dörfern Einzug. Dann kamen ihnen die Kinder aus den Hütten entgegen und tanzten um das duftende Holz herum, sangen den Händlern ihre Lieder vor, baten um kleine Holzstückchen, aus denen sie Puppen und Drachen schnitzen wollten, und bestaunten die echten Drachen, die die schweren Wagen zogen. So war es bis jetzt vor jedem Winter gewesen, solange Alasar zurückdenken konnte.
    Er blickte zum Horizont. Nur allmählich wich die Dunkelheit dem trüben Tageslicht. Ihm war kalt, trotzdem blieb er auf seinem Aussichtsposten stehen und spähte in die Ferne. So hatte er jeden Morgen der vergangenen zwölf Tage verbracht, hoch oben auf dem Felsen, und die langsam voranschreitende Dämmerung abgewartet.
    Alasar blähte die Nasenflügel und witterte die Luft wie die Steppenwölfe, die nachts um sein Dorf schlichen. Der Wind schien ihm einen Geruch von Feuer und verbranntem Fleisch entgegenzutragen, den nur er riechen konnte.
    Zögerlich, fast widerwillig brachen die ersten Sonnenfäden durch die Wolkendecke. Es war Tag geworden, erkannte er halb enttäuscht, halb erleichtert, ohne dass sein Wachehalten sich gelohnt hätte. Doch er wartete nicht, wie in den vergangenen Jahren, auf die Holzhändler. Nein. Es war Krieg. Er wartete auf seine Eltern und die Eltern der anderen Kinder, die hinter ihm im Dorf schliefen. Außer ihnen und den Alten, die nicht mehr hatten kämpfen können, waren sie alle vor zwölf Tagen am nördlichen Horizont verschwunden. Die Frauen, die Männer, ja, selbst die dreizehnjährigen Jungen und Mädchen: Jeder, der eine Lanze halten und einen Stein werfen konnte, verteidigte Myrdhan. Die Männer kämpften vorne in den Kriegerreihen der Armee, die Frauen lauerten ein paar Hügel entfernt mit Pfeil und Bogen, und die Jugendlichen verbargen sich dahinter, um jeden Angreifer, der bis zu ihnen durchkam, mit Steinen zu empfangen.
    Alasar hatte auch kämpfen wollen. Und sei es nur bei den Dreizehnjährigen, obwohl er sicher war, dass er genauso gut bei den Männern in der Schlacht dienen konnte. Aber Alasar war erst elf, mager und dunkel, mit den scharf geschnittenen Gesichtszügen der myrdhanischen Hügelstämme.
    Schließlich atmete er tief aus und drehte sich um. Seine Eltern waren also noch immer im Kampf, ebenso wie seine beiden Brüder Ganem und Vasir. Aber um die beiden sorgte er sich nicht, denn er mochte sie kein bisschen. Sie machten sich immer über ihn lustig und nahmen ihn nicht ernst, obwohl er ihnen längst überlegen war.
    Er machte kehrt, um die Felsen hinunter ins Dorf zu klettern. Doch als er schon einen Fuß auf den nächsten Steinbrocken gesetzt hatte, drängte ihn ein unbestimmtes Gefühl, noch einmal zurückzublicken - es kroch ihm den Rücken hinauf wie das Echo einer Angst, die er noch nicht empfunden hatte … Er drehte den Kopf. Der Wind heulte ihm um die Ohren und ließ die struppigen Haarsträhnen vor seinen Augen tanzen. Es dauerte einen Moment, ehe Alasar sie sah.
    Ein jäher Schreck durchfuhr ihn, er rutschte mit den Füßen vom Fels und sprang sogleich wieder auf. Irrte er sich? Hoffentlich, hoffentlich täuschten ihn seine Augen … Aber es war kein Irrtum.
    Da, in der Ferne, kroch eine Woge flimmernder schwarzer Punkte heran. Alasars Blick fächerte über die
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