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Das Drachentor

Titel: Das Drachentor
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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öffnen, während andere immer heftiger protestierten.
    »Wir können unser Dorf doch nicht verlassen! Was passiert mit unseren Sachen, wenn die Haradonen alles plündern?«, schrie ein Junge in Alasars Alter.
    »Kommt mit uns oder bleibt hier«, sagte Alasar. »Aber wer bleibt, wird die Nacht nicht überleben.« Die Kinder schluchzten erschrocken auf. Viele schlossen sich Alasar an, weil er von der allgemeinen Angst völlig unberührt wirkte.
    Man packte so viele Vorräte, Kerzen und Fackeln zusammen, wie man tragen konnte, und sammelte sich vor den geöffneten Toren. Alasar ging mit Magaura zu den Alten vor. Auch drei schwangere Frauen wollten ihm aus dem Dorf folgen.
    »Und du bist ganz sicher, dass wir uns in diesen Höhlen verstecken können?«, fragte eine Frau. Bevor Alasar antworten konnte, trat Magaura vor ihn.
    »Mein Bruder kennt die Felshöhlen besser als jeder andere. Immer geht er da hin mit einer Fackel und findet Salz und Quellen und Fledermäuse.«
    Die Frauen nickten langsam. Magaura lächelte, froh, Alasar bewiesen zu haben, dass sie sich an die Geschichten von Salz, Quellen und Fledermäusen erinnerte, die er ihr so oft erzählt hatte.
    Schließlich verließen sie das Dorf. Ein Teil der Kinder, Alten und Schwangeren blieb zurück und verschloss die Holztore von innen.
     
    Immer wieder sah Alasar zu der langen Prozession zurück, die ihm folgte. Gewiss, es waren verängstigte Kindergesichter und alte Männer und Frauen, aber trotzdem … sie folgten alle ihm.
    Tief im Herzen hatte er gewusst, dass er die Menschen einmal führen würde. Aber dass seine Bestimmung ihn jetzt schon einholen sollte, in so einer Situation, das hätte er nie gedacht.
    »Kommen Mama und Papa zurück?« Magaura lief mit kleinen, hastigen Schritten an seiner Seite. Alasar warf ihr einen sorgenvollen Blick zu - sie war so unschuldig und musste für das Versagen ihrer Eltern bezahlen. »Sie … weißt du, sie kommen noch nicht wieder.«
    »Wann sind sie denn da?« »Wenn sie kommen, sage ich es dir. Solange bin ich für dich da. Einverstanden?« Er zwang sich zu einem Lächeln und Magaura gähnte unbeschwert.
    Alasar führte sein Gefolge durch die Felsschluchten und Geröllberge, die sich zwischen den Hügeln gebildet hatten. Er wählte die verstecktesten Wege, aus Angst, das haradonische Heer könnte sie überraschen. Irgendwann erreichten sie mächtige Felsplatten, die schräg aus dem Boden ragten und zwischen denen sich Höhleneingänge gebildet hatten.
    Die Kinder und Alten und Frauen folgten Alasar unsicher in die Dunkelheit. Keiner hatte sich je für die Höhlen interessiert, aber er mochte die Finsternis, den Klang des Wassers, das von den Felsen perlte, und die Einsamkeit, die jedes Zeitgefühl verschluckte.
    Unter den Felsen entzündeten sie Fackeln, dann gingen sie tiefer hinab. Alasar kannte jeden Stein hier unten, sprang den anderen leichtfüßig voran und half den Schwangeren und den Kleinsten nachzukommen. Die Dorfbewohner staunten über die unterirdischen Hallen, die Grotten und die flachen Seen, in die es unaufhörlich von der Decke tropfte. Alasar führte sie durch runde Gänge und von einem Höhlenzimmer zum nächsten, bis niemand mehr glauben konnte, dass all diese schaurigen, wunderbaren Bauwerke von selbst entstanden waren. Bald vergaßen die Kinder ihre Angst. Sie tanzten um die zackigen Felszähne, die aus dem Boden stachen, hüpften durch die Pfützen, in denen winzige durchsichtige Krebse umherhuschten, und lauschten den verzerrten Echos, die die hohen Gewölbe zu ihnen zurückwarfen.
    Alasar beriet sich mit den Alten und den Frauen, wo sie sich einrichten sollten. Manche von ihnen hatten Felle mitgenommen, die man auf dem Boden ausbreiten konnte. Im Nu waren Schlaflager hergestellt. Sie fanden einen schmalen Höhlenflur, der fortan ihre Speisekammer sein würde, und gleich daneben einen trockenen Platz für Fackeln, Kerzentalg und Waffen. Die Kinder beteiligten sich bald am Einrichten. Sie befestigten Fackeln an den Felswänden, füllten Eimer mit dem Wasser der Grotten, damit sie trinken und kochen konnten, und entfachten ein Lagerfeuer, um die feuchte Kälte zu vertreiben. Zuletzt begannen sie, die umliegenden Höhlen zu erkunden.
    Später verließ Alasar die anderen und schlüpfte hinaus ins Freie. Der Himmel hatte sich bereits verdunkelt und violette Wolkenschlieren krochen im Norden herauf. Alasar kletterte auf die Felsen, legte sich bäuchlings hin und beobachtete mit angehaltenem Atem, wie das
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