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Das Drachentor

Titel: Das Drachentor
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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habe darüber nachgedacht, und Lilib hat mir zugestimmt«, er sah sie kurz an, »dass es ganz sinnlos ist, sich von seinem Stolz treiben zu lassen, wenn man nicht mit seinem eigenen Willen dahintersteht. Erinnerst du dich an die Prophezeiung, die mir der Soldat damals gemacht hat, in der Nacht vor unserer ersten Schlacht? Er hat gesagt, dass ich sterben würde. Weißt du, wie viel Angst ich seitdem hatte? Ich habe so gebetet, dass die Prophezeiung nicht eintritt. Dabei liegt es doch in meiner Macht, sie nicht wahr werden zu lassen. Ich kämpfe einfach nicht mehr.« Er zuckte die Schultern. »Bestimmt verachtest du mich jetzt. Twit und Capras waren die Ersten, die mich als Deserteur gemeldet haben.«
    Revyn schüttelte langsam den Kopf. »Ich verachte dich nicht. Du hast dein Schicksal selbst bestimmt, so wie ein Mann. Wenn Twit und Capras noch leben, werden sie trotzdem immer Kinder bleiben.«
    Jurak lächelte ein wenig. »Ohne Lilib hätte ich nie den Mut dazu gefunden.«
    Revyn beobachtete, wie die beiden sich an den Händen drückten. Dann glitt sein Blick durch das hübsch eingerichtete Zimmer. »Was sagt denn deine Familie dazu, dass du einfach Flüchtlinge und Verletzte in dein Haus aufnimmst?«
    »Das Haus gehört mir allein. Davor habe ich mit Wedym hier gewohnt.«
    »Wedym von den Zähmern?«, fragte Revyn verwundert. Er erinnerte sich an den älteren Stallmeister.
    »Er war mein Onkel.«
    Revyn sah sie groß an. »Das wusste ich nicht.«
    Sie lächelte flüchtig. »Was glaubst du, wie ich sonst Zähmerin werden konnte?« Eine Weile kaute sie auf ihrer Unterlippe. »Er ist gestorben, vor zwei Monaten. Er wurde rekrutiert und ist im Kampf um Isdad gefallen.«
    Betroffen sah Revyn sie an. So viele Menschen, die er gekannt hatte, waren gestorben und würden in Vergessenheit geraten. »Das tut mir leid«, murmelte er.
    »Weißt du … in gewisser Weise bin ich sogar dankbar dafür, dass er davor gestorben ist. Bevor das mit den Drachen passiert ist, meine ich. Wedym hätte alles verloren, was ihm im Leben wichtig war.«
    Lilib und Revyn sahen sich an, wissend, dass genau das für sie beide auch zutraf. Mit einem tiefen Atemzug blinzelte Lilib sich die Tränen aus den Augen.
    »Die Leute erzählen so viel. Aber niemand weiß, warum die Drachen wirklich verschwunden sind. Manche sagen, sie wurden alle in der Schlacht getötet. Aber die überlebenden Soldaten - die sagen, dass ein Wunder passiert sei. Ein schreckliches Wunder. Dass die Drachen sich in leuchtenden Staub aufgelöst haben und man die Schreie ihrer Seelen aus der Hölle gehört hat.« Sie warf Revyn einen Blick zu. »Ist das wahr?«
    Revyn ließ sich zurück in die Kissen sinken. Seine Wunde war mit einem festen Verband umwickelt, durch den Blut schimmerte. »Wenn du willst, erzähle ich dir die ganze Geschichte. Über die Drachen. Und … über ein Mädchen.« Seine Stimme war dünn. »Die Kleine Göttin der Elfen, die mit ihnen untergegangen ist.«
    Lilib rutschte näher und half ihm, sich zuzudecken. »Du musst sie nicht gleich erzählen, wenn du dich schwach fühlst. Du hast viel Blut verloren. Und es könnte noch die ganze Nacht dauern, bis endlich ein Arzt kommt - sie sind alle bei den Lazaretten, und immer wieder treffen neue Soldaten ein, die behandelt werden müssen.«
    Revyn nickte matt. Weil er weder Lilib noch Jurak ansehen wollte, richtete er seinen Blick auf die Zimmerdecke. Wieso sollten sie sich so viel Mühe machen, um ihn am Leben zu erhalten, wenn ihn doch nichts mehr an diese Welt band …
    »Ich werde sie nie wiedersehen«, flüsterte er. Lilib, die gerade seine Bettdecke unter der Matratze festgesteckt hatte, hob den Kopf.
    Revyn schluckte. Dann machte er die Augen zu und versuchte, an nichts mehr zu denken. Aber in der Dunkelheit sah er die Drachen … sah Yelanah … Plötzlich musste er an jene ferne Nacht denken, in der er mit Palagrin aus seinem Dorf geflohen war. Fast spürte er wieder die schreckliche Lähmung von damals. Hatte er nicht gedacht, sein Leben sei zu Ende? Dabei hatte es in der schlimmsten Stunde doch begonnen …
    Und vielleicht - wer wusste das schon? - vielleicht war es jetzt gar nicht so anders.
     
    Ardhes und der Zug der verbliebenen Soldaten erreichten das Schloss von Awrahell in der Abenddämmerung. Wie es so zwischen den Felsen emporwuchs und seine Zinnen in den lilafarbenen Winterhimmel streckte, kam es Ardhes vor, als würde sie es zum ersten Mal erblicken. Sie hatte erwartet, ihre Heimat nie
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