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Das Drachenboot

Das Drachenboot

Titel: Das Drachenboot
Autoren: Kari Köster-Lösche
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richtete sich auf und wischte den Schweiß aus seinem Gesicht. »Was willst du von mir?« fragte er grob.
    »Bitte, nimm mich wieder unter deine Männer auf.« Svens unterwürfige Stimme war rauh, und das konnte anders auch gar nicht sein bei einem, der nachts heulen und jaulen muß.
    Hjalti verbarg sein Erstaunen, indem er sich den Oberlippenbart glattstrich. »Sven, ich glaube, du bist kein Mann für die See. Du bist ein Bauer, und dir würden das Land und die Bäume fehlen, die Eschen und Eiben. Denk an den Duft der Kiefernwälder und an den von regennasser Erde. An das Murmeln eines Baches und an den Ruf der Lerche.«
    Folke glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Vor wenigen Minuten hatte er dem Schiffsführer fast dasselbe gesagt. Ob es der Bauer in Hjalti war, der so genau wußte, was dem Mann fehlte? Denn Sven lauschte mit geschlossenen Augen und in den Nacken gelegtem Kopf, während Hjalti vom Land sprach, auf dem er zu Hause war. Sie wußten beide, was sie meinten, aber Folke fühlte sich ausgeschlossen. Hjalti war ernst wie ein Seher, der die Zukunft verkündet. Deutlich spürte Folke, wie Hjaltis Kräfte mit denen des Werwolfs rangen. »Fahr nach Hause, Sven«, sagte er.
    »Ich kann nicht nach Hause«, erwiderte Sven ganz vernünftig, um dann wie ein trauerndes Weib aufzuschluchzen. »Meine Sippe hat mich verstoßen.«
    »Weshalb, Sven?« flüsterte Hjalti eindringlich, und Sven, der sich immer noch mit geschlossenen Augen vor und zurück wiegte, konnte gar nicht anders, als wahrheitsgemäß zu antworten: »Ich habe meinen Bruder erschlagen.«
    »Verwandtenmord, Brudermord«, schienen die Gräser zu rascheln, die Wellen zu glucksen, die Sandkörner zu knirschen, und die Bauern wiederholten es laut.
    »Deswegen nimm mich unter deine Männer auf«, bat Sven nochmals, ohne sich um den Aufschrei der Natur und der Menschen gegen das entsetzlichste Verbrechen, das man in Midgard kannte, zu kümmern. Er kümmerte sich auch nicht darum, daß er längst keinen Anteil mehr an der Welt der Menschen hatte, sondern sich selber zum Untier, zum Neiding gemacht hatte, dessen Welt das frostige Utgard war. Sven wußte es nicht.
    Aber Hjalti wußte es. Er schüttelte langsam den Kopf. »Das geht nicht, Sven. Du hast dich freiwillig von uns losgesagt, und nun kannst du nicht mehr zurück.«
    Svens Augen glänzten hoffnungsvoll auf. »Von euch losgesagt? Aber dann hattet ihr mich doch aufgenommen? Dann wirst du es mir doch nicht verweigern, zurückzukommen?«
    »Siehst du, Hjalti!« näselte hinter Sven laut und fordernd der Bauer Ragnar. »Nun gibst du es selbst zu. Also bezahl du die Buße! Es sieht nicht aus, als ob es viel bei diesem dürren Gespenst zu holen gäbe!«
    Sven schnurrte mit einer Geschwindigkeit um die eigene Achse, die der kümmerlichen Gestalt niemand zugetraut hätte. Und hinterher wußte auch niemand zu sagen, wie es kam, daß Ragnar ein Messer in der Brust steckte. Mit einem kaum hörbaren Stöhnen sank er zu Boden und war tot, noch bevor die Stranddisteln sich unter seinem Gewicht flachlegten.
    »Er ist ein Unhold«, raunten sich die Bauern zu. So schnell sie konnten, rannten sie den Berg hinauf, hinter ihnen blieben die älteren, schwächeren Männer japsend zurück und auf der Straße die Stecken, und auf alles senkte sich nach einer Weile der Staub, den die Flüchtenden aufgewirbelt hatten. Mitten im Dreck lag der Leichnam Ragnars.
    Sven drehte sich wieder zu Hjalti und Folke um, die sich nicht zu rühren gewagt hatten. Sven lächelte trübe und streckte seine offenen Hände aus. Er betrachtete sie, als hätte er sie noch nie gesehen. »Was ich anfasse, gelingt mir nicht!« murmelte er. »Ich konnte nicht rudern, und ich kann auch keine Bogen mehr machen.«
    Beinahe hätte Folke aufgeschrien, aber er biß die Zähne zusammen, bis sie schmerzten. Die Bauern hatten mit ihrer Anklage also doch recht gehabt. Sven hatte sich auch nicht wehren können, als er von Aslak den beleidigenden Namen bekommen hatte, und jeder hatte gemerkt, daß er feige war. Aber niemand hatte ahnen können, daß er deshalb feige war, weil er damals schon vom Tode gezeichnet war, oder auch umgekehrt . Sven war so gut wie tot. Hier lief nur noch sein Leichnam herum; die Hülle, die dem Neiding die äußere Form gab, die Umrisse, die den Bauern nachts Todesangst einjagten.
    Folke räusperte sich vorsichtig. »Mit dem Bohrer konntest du gut umgehen. Warum hast du den >Grauen Wolf< angebohrt?«
    Sven, der auf dem »Grauen Wolf« nicht
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