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Das doppelte Lottchen

Das doppelte Lottchen

Titel: Das doppelte Lottchen
Autoren: Erich Kästner
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Bezirks, nimmt eine Trauung
    vor, die ihn, bei aller Routine, ab und zu ein bißchen aus der
    Fassung bringt. Die Braut ist die geschiedene Frau des
    Bräutigams. Die beiden einander entsetzlich ähnlichen
    zehnjährigen Mädchen sind die Kinder des Brautpaars. Der
    eine Trauzeuge, ein Kunstmaler namens Anton Gabele, hat
    keinen Schlips um. Dafür hat der andere Zeuge, ein Hofrat
    Professor Doktor Strobl, einen Hund! Und der Hund hat im
    Vorzimmer, wo er eigentlich bleiben sollte, einen solchen Lärm
    gemacht, daß man ihn hereinholen und an der
    standesamtlichen Trauung teilnehmen lassen mußte! Ein
    Hund als Trauzeuge! Nein, so was!

    Lottchen und Luise sitzen andächtig auf ihren Stühlen und sind
    glücklich wie die Schneekönige. Und sie sind nicht nur glücklich, sondern auch stolz, mächtig stolz! Denn sie selber sind ja an dem herrlichen, unfaßbaren Glück schuld! Was wäre denn aus den armen Eltern geworden, wenn die Kinder nicht gewesen wären, wie? Na
    also! Und leicht war’s auch nicht gerade gewesen, in aller
    Heimlichkeit Schicksal zu spielen! Abenteuer, Tränen, Angst,
    Lügen, Verzweiflung, Krankheit, nichts war ihnen erspart geblieben, rein gar nichts!
    Nach der Zeremonie flüstert Herr Gabele mit Herrn Palffy. Dabei zwinkern die beiden Künstlernaturen einander geheimnisvoll zu.
    Aber warum sie flüstern und zwinkern, weiß außer ihnen niemand.
    Frau Körner, geschiedene Palffy, verehelichte Palffy, hat ihren alten und neuen Herrn und Gebieter nur murmeln hören: »Noch zu

    früh?« Dann fährt er, zu ihr gewandt, leichthin fort: »Ich hab’ eine gute Idee! Weißt du was? Wir fahren zunächst in die Schule und
    melden Lotte an!«
    »Lotte? Aber Lotte war doch seit Wochen… Entschuldige, du
    hast natürlich recht!«
    Der Herr Kapellmeister schaut die Frau Kapellmeister zärtlich an.
    »Das will ich meinen!«
    Herr Kilian, der Direktor der Mädchenschule, ist ehrlich
    verblüfft, als Kapellmeister Palffy und Frau eine zweite Tochter anmelden, die der ersten aufs Haar gleicht. Aber er hat als alter Schulmann manches erlebt, was nicht weniger merkwürdig war, und so gewinnt er schließlich die Fassung wieder.

    Nachdem die neue Schülerin ordnungsgemäß in ein großes Buch
    eingetragen worden ist, lehnt er sich gemütlich im Schreibtischsessel zurück und sagt: »Als jungem Hilfslehrer ist mir einmal etwas
    passiert, das muß ich Ihnen und den beiden Mäderln erzählen! Da kam zu Ostern ein neuer Bub in meine Klasse. Ein Bub aus
    ärmlichen Verhältnissen, aber blitzsauber und, wie ich bald merkte, sehr ums Lernen bemüht. Er kam gut voran. Im Rechnen war er
    sogar in kurzer Zeit der Beste von allen. Das heißt: nicht immer! Erst dachte ich bei mir: ›Wer weiß, woran’s liegen mag!‹ Dann dachte ich: ›Das ist doch seltsam! Manchmal rechnet er wie am Schnürchen und macht keinen einzigen Fehler, andere Male geht es viel
    langsamer bei ihm, und Schnitzer macht er außerdem!‹«
    Der Herr Schuldirektor macht eine Kunstpause und zwinkert
    Luise und Lotte wohlwollend zu. »Endlich verfiel ich auf eine
    seltsame Methode. Ich merkte mir in einem Notizbücherl an, wann der Bub gut und wann er miserabel gerechnet hatte. Und da stellte sich ja nun etwas ganz Verrücktes heraus. Montags, mittwochs und freitags rechnete er gut – dienstags, donnerstags und samstags
    rechnete er schlecht.«
    »Nein, so was!« sagt Herr Palffy. Und die zwei kleinen Mädchen
    rutschen neugierig auf den Stühlen.
    »Sechs Wochen sah ich mir das an«, fährt der alte Herr fort. »Es änderte sich nie! Montags, mittwochs, freitags – gut! – Dienstags, donnerstags, samstags – schlecht! Eines schönen Abends begab ich mich in die Wohnung der Eltern und teilte ihnen meine rätselhaften Beobachtungen mit. Sie schauten einander halb verlegen, halb
    belustigt an, und dann meinte der Mann: ›Mit dem, was der Herr
    Lehrer bemerkt hat, hat’s schon seine Richtigkeit!‹ Dann pfiff er auf zwei Fingern. Und schon kamen aus dem Nebenzimmer zwei Jungen
    herübergesprungen. Zwei, gleich groß und auch sonst vollkommen ähnlich! ›Es sind Zwillinge‹, meinte die Frau. ›Der Sepp ist der gute Rechner, der Toni – der andere!‹ Nachdem ich mich einigermaßen
    erholt hatte, fragte ich: ›Ja, liebe Leute, warum schickt ihr denn nicht alle beide in die Schule?‹ Und der Vater gab mir zur Antwort: ›Wir sind arm, Herr Lehrer. Die zwei Buben haben zusammen nur einen guten Anzug!«
    Das Ehepaar Palffy lacht. Herr Kilian
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