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Das doppelte Lottchen

Das doppelte Lottchen

Titel: Das doppelte Lottchen
Autoren: Erich Kästner
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einem Auto und verhandelt mit dem
    mürrischen Portier.
    »Der Herr Kapellmeister?« brummt er. »I weiß net, ob er droben
    ist!«
    »Im Atelier ist Licht«, sagt sie. »Also ist er da! Hier!« Sie drückt ihm Geld in die Hand und eilt an ihm vorbei.
    Er betrachtet den Geldschein und schlurft in seine Wohnung
    zurück.
    »Du?« fragt Ludwig Palffy oben an der Tür.
    »Erraten!« bemerkt Irene Gerlach bissig und tritt ins Atelier. Sie setzt sich, zündet sich eine Zigarette an und mustert den Mann
    abwartend. Er sagt nichts.
    »Warum läßt du dich am Telefon verleugnen?« fragt sie.
    »Findest du das sehr geschmackvoll?«
    »Ich hab’ mich nicht verleugnen lassen.«
    »Sondern?«
    »Ich war nicht fähig, mit dir zu sprechen. Mir war nicht danach zumute. Das Kind war schwer krank.«
    »Aber jetzt geht es ihm wohl besser. Sonst wärst du doch in der Rotenturmstraße.«
    Er nickt. »Ja, es geht ihm besser. Außerdem ist meine Frau
    drüben.«
    »Wer?«
    »Meine Frau. Meine geschiedene Frau. Sie kam heute morgen
    mit dem anderen Kind.«
    »Mit dem anderen Kind?« echot die junge, elegante Frau.
    »Ja, es sind Zwillinge. Erst war das Luiserl bei mir. Seit
    Ferienschluß dann das andere. Doch das hab’ ich gar nicht gemerkt.
    Ich weiß es erst seit gestern.«
    Die Dame lacht böse. »Raffiniert eingefädelt von deiner
    Geschiedenen!«
    »Sie weiß es auch erst seit gestern«, meint er ungeduldig.
    Irene Gerlach verzieht ironisch die schön geschminkten Lippen.
    »Die Situation ist nicht unpikant, gelt? In der einen Wohnung sitzt eine Frau, mit der du nicht mehr, und in der anderen eine, mit der du noch nicht verheiratet bist!«
    Ihn packt der Ärger. »Es gibt noch mehr Wohnungen, wo Frauen
    sitzen, mit denen ich noch nicht verheiratet bin!«
    »Oh!« Sie erhebt sich. »Witzig kannst du auch sein?«
    »Entschuldige, Irene, ich bin nervös!«
    »Entschuldige, Ludwig, ich auch!«
    Bums! Die Tür ist zu, und Fräulein Gerlach ist gegangen!
    Nachdem Herr Palffy einige Zeit auf die Tür gestarrt hat, wandert er zum Bösendorfer-Flügel hinüber, blättert in den Noten zu seiner Kinderoper und setzt sich, ein Notenblatt herausgreifend, vor die Tasten.

    Eine Zeitlang spielt er vom Blatt. Einen strengen, schlichten
    Kanon in einer der alten Kirchentonarten. Dann moduliert er. Von Dorisch nach c-Moll. Von c-Moll nach Es-Dur. Und langsam, ganz
    langsam schält sich aus der Paraphrase eine neue Melodie heraus.
    Eine Melodie, so einfach und herzgewinnend, als ob zwei kleine
    Mädchen mit ihren hellen Kinderstimmen sie sängen. Auf einer
    Sommerwiese. An einem kühlen Gebirgssee, in dem sich der blaue
    Himmel spiegelt. Jener Himmel, der höher ist als aller Verstand und dessen Sonne die Kreaturen wärmt und bescheint, ohne zwischen
    den Guten, den Bösen undden Lauen einen Unterschied zu machen.

ELFTES KAPITEL

    Ein doppelter Geburtstag und ein einziger Geburtstagswunsch – Die Eltern ziehen sich zur Beratung zurück – Daumen halten! –
    Gedränge am Schlüsselloch – Mißverständnisse und Einverständnis Die Zeit, die, wie man weiß, Wunden heilt, heilt auch
    Krankheiten. Lottchen ist wieder gesund. Sie trägt auch wieder ihre Zöpfe und Zopfschleifen. Und Luise hat wie einst ihre Locken und schüttelt sie nach Herzenslust.

    Sie helfen der Mutti und der Resi beim Einkaufen und in der
    Küche. Sie spielen gemeinsam im Kinderzimmer. Sie singen
    mitsammen, während Lottchen oder gar Vati am Klavier sitzt. Sie besuchen Herrn Gabele in der Nachbarwohnung. Oder sie führen
    Peperl aus, wenn der Herr Hofrat Sprechstunde hat. Der Hund hat sich mit dem zweifachen Luiserl abgefunden, indem er seine
    Fähigkeit, kleine Mädchen gernzuhaben, zunächst verdoppelt und
    dann diese Zuneigung halbiert hat. Man muß sich zu helfen wissen.
    Und manchmal, ja, da schauen sich die Schwestern ängstlich in
    die Augen. Was wird werden?
    Am 14. Oktober haben die beiden Mädchen Geburtstag. Sie
    sitzen mit den Eltern im Kinderzimmer. Zwei Kerzenkränze brennen, jeder mit zehn Lichtern. Selbstgebackenes und dampfende
    Schokolade hat’s gegeben. Vati hat einen wunderschönen
    »Geburtstagsmarsch für Zwillinge« gespielt. Nun dreht er sich auf dem Klavierschemel herum und fragt: »Warum haben wir euch

    eigentlich nichts schenken dürfen?«

    Lottchen holt tief Atem und sagt: »Weil wir uns etwas wünschen
    wollen, was man nicht kaufen kann!«
    »Was wünscht ihr euch denn?« fragt die Mutti.
    Nun ist Luise an der Reihe, tief Luft zu holen. Dann
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