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Das doppelte Lottchen

Das doppelte Lottchen

Titel: Das doppelte Lottchen
Autoren: Erich Kästner
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brummt er.
    »Wenn Mutti kocht!« flüstert Lottchen.
    Mutti nickt und geht ans Fenster. »Entschuldige, Ludwig, daß ich dir erst jetzt guten Tag sage!«
    Der Herr Kapellmeister drückt ihr die Hand. »Ich dank’ dir
    vielmals, daß du gekommen bist.«
    »Aber ich bitte dich! Das war doch selbstverständlich! Das
    Kind…«
    »Freilich, das Kind«, erwidert er. »Trotzdem!«
    »Du siehst aus, als hättest du seit Tagen nicht geschlafen«, meint sie zögernd.
    »Ich werd’s nachholen. Ich hatte Angst um… um das Kind!«
    »Es wird bald wieder gesund sein«, sagt die junge Frau
    zuversichtlich. »Ich fühl’s.«
    Am Bett wird gewispert. Luise beugt sich dicht an Lottchens
    Ohr. »Mutti weiß nichts von Fräulein Gerlach. Wir’ dürfen’s ihr auch nie sagen!«
    Lottchen nickt ängstlich.
    Der Herr Hofrat kann es nicht gehört haben, weil er das
    Fieberthermometer prüft. Obwohl er natürlich das Thermometer
    nicht gerade mit den Ohren inspiziert! Sollte er aber doch etwas gehört haben, so versteht er es jedenfalls vorbildlich, sich nicht das mindeste anmerken zu lassen. »Die Temperatur ist fast normal«, sagt er. »Du bist übern Berg! Herzlichen Glückwunsch, Luiserl!«
    »Dank schön, Herr Hofrat«, antwortet die richtige Luise
    kichernd.
    »Oder meinen Sie mich?« fragt Lottchen, vorsichtig lachend. Ihr Kopf tut aber noch weh.
    »Ihr seids mir ein paar Intriganten«, knurrt er, »ein paar
    gefährliche! Sogar meinen Peperl habt ihr an der Nase
    herumgeführt!« Er streckt beide Hände aus, und mit jeder seiner Pranken fährt er zärtlich über einen Mädchenkopf. Dann hustet er energisch, steht auf und sagt:
    »Komm, Peperl, reiß dich von den zwei trügerischen
    Weibsbildern los!«
    Peperl wedelt abschiednehmend mit dem Schwanz. Dann
    schmiegt er sich an die gewaltigen Hosenröhren des Hofrats, der soeben dem Herrn Kapellmeister Palffy erklärt: »Eine Mutter, das ist eine Medizin, die kann man nicht in der Apotheke holen!« Er wendet sich an die junge Frau. »Werden S’ so lang bleiben können, bis das Luiserl, ein’n Schmarrn, bis das Lottchen, mein’ ich, wieder völlig beisamm’ ist?«
    »Ich werd’ wohl, Herr Hof rat, und ich möcht’ schon!«
    »Na also«, meint der alte Herr. »Der Herr Exgemahl wird sich
    halt dreinfügen müssen.«
    Palffy öffnet den Mund.
    »Lassen S’ nur«, sagt der Hofrat spöttisch. »Das Künstlerherz
    wird Ihnen natürlich bluten. So viele Leute in der Wohnung! Aber nur Geduld – bald werden S’ wieder hübsch allein sein.«
    Er hat’s heute in sich, der Hof rat! Die Tür drückt er so rasch auf, daß die Resi, die draußen horcht, am Kopf eine Beule kriegt. Sie hält sich den brummenden Schädel.
    »Mit einem sauberen Messer drücken!« empfiehlt er, jeder Zoll
    ein Arzt. »Ist schon gut. Der wertvolle Ratschlag kostet nix!«
    Der Abend hat sich auf die Erde herabgesenkt. In Wien wie
    anderswo auch. Im Kinderzimmer ist es still. Luise schläft. Lotte schläft. Sie schlummert der Gesundung entgegen.
    Frau Körner und der Kapellmeister sind bis vor wenigen Minuten
    im Nebenzimmer gesessen. Sie haben manches besprochen, und sie
    haben noch mehr beschwiegen. Dann ist er aufgestanden und hat
    gesagt: »So! Nun muß ich gehen!« Dabei ist er sich – übrigens mit Recht – etwas komisch erschienen. Wenn man bedenkt, daß im
    Nebenzimmer zwei neunjährige Mädchen schlafen, die man von der
    hübschen Frau hat, die vor einem steht – und man selber muß wie ein abgeblitzter Tanzstundenlehrer davonschleichen! Aus der eigenen Wohnung! Wenn es noch, wie in den guten alten Zeiten, unsichtbare Hausgeister gäbe – wie müßten die jetzt kichern!
    Sie bringt ihn bis zur Korridortür.
    Er zögert. »Falls es schlimmer werden sollte – ich bin drüben im Atelier.«
    »Mach dir keine Sorgen!« sagt sie zuversichtlich. »Vergiß lieber nicht, daß du viel Schlaf nachzuholen hast.«
    Er nickt. »Gute Nacht.«
    »Gute Nacht.«
    Während er langsam die Treppe hinabsteigt, ruft sie leise:
    »Ludwig!« Er dreht sich fragend um.
    »Kommst du morgen zum Frühstück?«
    »Ich komme!«
    Als sie die Tür verschlossen und die Kette vorgehängt hat, bleibt sie noch eine Weile sinnend stehen. Er ist wirklich älter geworden.
    Fast sieht er schon wie ein richtiger Mann aus, ihr ehemaliger Mann!
    Dann wirft sie den Kopf zurück und geht, den Schlaf ihrer und
    seiner Kinder mütterlich zu bewachen.
    Eine Stunde später steigt vor einem Haus am Kärntner Ring eine
    junge, elegante Dame aus
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