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Das Dach kommt spaeter

Das Dach kommt spaeter

Titel: Das Dach kommt spaeter
Autoren: Murat Topal
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Generationenvertrag festgeschriebene Recht entzog, in besseren Verhältnissen aufzuwachsen als sein Erzeuger. Der ihm stattdessen ein Leben in grauer Stadtteiltristesse aufzuzwingen versuchte, und dies in Räumlichkeiten, die selbst einer Amöbe Platzangst gemacht hätten.
    In diesem dramatischen Augenblick wurde mir klar, dass wir eine Familie ohne Raum waren – und dass es mir als Oberhaupt dieser landlosen Sippe oblag, Gattin, Sohn und nicht zuletzt den zukünftigen kleinen Topis Platz, Auslauf und, ja, Eigentum zu verschaffen. Vor meinem geistigen Auge materialisierte sich eine wunderschöne weiße Jugendstilvilla mit drei Stockwerken, deren Garten in etwa die Größe des Berliner Tiergartens hatte. Besonderer Blickfang war ein riesiger S-förmiger See, an dessen Ufern sich unsere gesamte türkische Verwandtschaft zum Grillen niederlassen konnte. Und das Beste: Rechts vom See lag eine eigene kleine U-Bahn-Station, was die vier fetten Garagen links der Villa fast überflüssig erscheinen ließ. Ich meine, wer braucht in einer vom Verkehrsinfarkt bedrohten Stadt wie Berlinschon vier Autos? Zwei fahrbare Untersätze und der private Metro-Anschluss waren allemal ausreichend.
    Es war klar, dass ich mich dieser von einer übernatürlichen Macht so deutlich visualisierten Zukunft nicht ernsthaft verweigern konnte. Im Nachhinein denke ich, dass die zum Abendessen servierten Schupfnudeln womöglich nicht nur mit Ochsenbacken, sondern Halluzinogenen serviert wurden. Okay, das ist meine persönliche Verschwörungstheorie. Aber wie soll ich mir sonst erklären, dass ich in jener Nacht ganz gegen meine Natur nicht nur von allen guten Geistern, sondern auch von sämtlichen Bedenken verlassen wurde?
    In meinem Rausch stand dem Kauf der Luxusvilla nichts mehr im Weg. Oder bestenfalls eine klitzekleine Kleinigkeit: mein Kontostand. Sofern man bei einem so chronisch dehydriert darniederliegenden Konto wie meinem überhaupt von einem
Stand
reden konnte. Eher vorsichtig veranlagte Freunde pflegten mir gern zu sagen: »Wer knietief im Dispo watet, sollte nicht nach den Sternen greifen.« Zumindest in jenen Stunden des Deliriums sah ich das anders und orientierte mich lieber an der glorreichen Vergangenheit meiner türkischen Ahnen. Niemals wäre das Osmanische Reich mit einer an finanziellen Realitäten ausgerichteten Denkweise zu seiner (zumindest vorübergehenden) Pracht und Größe gelangt. Mein Entschluss war gefasst, und wer mich kennt, weiß: Den Murat in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf. Um keine unnötige Zeit zu verlieren, beschloss ich, mich gleich am nächsten Tag dem Duell mit meinem ärgsten Widersacher zu stellen – meinem Bankberater.
    Vorsichtig stand ich auf und trug meinen kleinen Jungen in sein Bettchen. Als ich ihn zudeckte, öffnete er kurz die Augen und sah mich nachdenklich an. Dann streckte er die Ärmchen nach mir aus und sagte: »Babi, ich hab dich lieb.«
    Ich fühlte mich stark und unbesiegbar.

2. Kapitel

Geld regiert die Welt
     
     
    Bankberater ist einer dieser Begriffe, die sich in der Umgangssprache eingebürgert haben, aber purer Nonsens sind. Denn diese aalglatten Damen und Herren sollen ja nicht die Bank, sondern deren Kunden beraten. Außerdem beraten sie nicht, sondern verkaufen – und zwar nach Möglichkeit Produkte, für die ihr Arbeitgeber eine hohe Provision kassiert. Mein Kundenschröpfer also war seit den ersten Tagen meiner Berufstätigkeit ein steter Quell des Ärgernisses für mich gewesen. Herr Florian von Feuchtleben, wie er laut seinem Namensschild genannt werden wollte, hatte schon in den ersten Monaten unserer krisengeschüttelten Geschäftsbeziehung entschieden, mich für einen hoffnungslosen Fall zu halten. Als Spross einer Adelsfamilie legte er eine vermutlich genetisch bedingte Arroganz an den Tag, die in eigentümlichem Kontrast zu der Servilität stand, die ihm offenbar während seiner Banklehre eingebläut worden war. Voll ausgefahren locker über zwei Meter groß und mich also um gut zwei Köpfe überragend, versuchte er aus verhandlungstaktischen Gründen hinter seinem Schreibtisch um eben diese zwei Köpfe kleiner zu wirken. Dies gab ihm ein seltsam verknäultes Aussehen. Seine speckig gegelten Haare und der Tick, stets eine, zu allem Überfluss schief hängende, Fliege zu tragen, taten das Übrige.
    Eigentlich hätte ich als Polizist und Beamter ein lukrativer Kunde für ihn sein sollen. Dass ich es durch meine relative Gleichgültigkeit gegenüber
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