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Das Dach kommt spaeter

Das Dach kommt spaeter

Titel: Das Dach kommt spaeter
Autoren: Murat Topal
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Saft- und kraftlos trieb ich mein Feuerross dem Bankgebäude entgegen. Verschärfend fiel mir in diesem ohnehin kritischen Zustand ein, dass der Geldhaus-Von-und-Zu noch gar nicht über die Veränderungen in meinem Berufsleben informiert war. Und dummerweise hatte mein adliger Kiesverteiler bislang stets den Eindruck erweckt, dass das Einzige, was ihm an meinem unscheinbaren Wesen Achtung einflößte, ausgerechnet der Beamtenstatus sei – der inzwischen flöten gegangen war.
    Mehr und mehr Zweifel ploppten in meinem Kopf auf und ließen mich immer zaghafter werden. Trotz meines überpünktlichen Aufbruchs wäre ich daher fast zu spät gekommen, was meine Verhandlungsposition mit Sicherheit nicht verbessert hätte. Also stürmte ich durch die Drehtür in den Schalterraum und vergaß dabei, meinen Integralhelmabzunehmen. Die hinter den Schaltern arbeitenden Bankangestellten reagierten auf meinen Auftritt mit panischen Blicken. Erst als ich sah, dass einer von ihnen den Alarm auslösen wollte, wurde mir klar, welche Assoziationen meine martialische Ausrüstung auslöste. Gerade noch rechtzeitig, um einen Polizeieinsatz zu verhindern, riss ich mir den Helm vom Kopf. Allerdings um den Preis, dass er, durch die Schubkraft beschleunigt, genau in den Solarplexus meines in der Schalterhalle vagabundierenden Kundenberaters sauste. Von Feuchtleben klappte zusammen wie ein Schweizer Messer.
    Schon lange hatte ich davon geträumt, den hochnäsigen Schnösel eines Tages vor mir im Staub kriechen zu sehen. Allerdings sollte er in meinen Träumen nicht durch einen klassischen K.o.-Schlag, sondern allein durch die intellektuelle Wucht meiner Argumente auf den Marmorboden der Tatsachen gezwungen werden. Und dies sollte vor allen Dingen erst NACH unserem Gespräch passieren.
    Dass er nun japsend nach Luft schnappte, bevor ich mein Anliegen überhaupt formuliert hatte, passte mir nicht ins Konzept. Wie jeder weiß, sind angeschlagene Gegner unberechenbar und gefährlich. Darum versuchte ich, das peinliche Missgeschick schnell vergessen zu machen, indem ich übertrieben freundlich tat.
    »Servus, Herr von Feuchtleben.« Diesen pseudo-österreichischen Schmäh hatte ich in meiner Jugend in albernen »Graf Bobby«-Filmen aufgeschnappt, die sonntagnachmittags das Niveau der ARD für neunzig glückliche Minuten noch weiter senkten als sonst. »Darf ich Ihnen vielleicht auf die werten Beine helfen?«
    Ich streckte ihm ritterlich die Hand entgegen, um ihm klarzumachen, dass er sich nur mit meiner großherzigen Hilfe zurück ins Leben ziehen konnte. Davon versprach ichmir in unserem Gespräch einen kleinen, aber hoffentlich entscheidenden psychologischen Vorteil. Der Lulatsch war jedoch derart ungelenk, dass es einige Minuten dauerte, bis wir uns nach einem grotesk anzuschauenden Pas de deux endlich keuchend gegenüberstanden.
    Skurriler hätte der Einstieg in unser Kreditgespräch kaum sein können. Der sichtlich angeschlagene Banknotendompteur gab mir mit einer knappen Handbewegung zu verstehen, ihm in sein Büro zu folgen. Trotz seines derangierten Äußeren fand der Penunzenritter erstaunlich schnell seine Contenance wieder und feuerte, als sei nichts passiert, seine üblichen Dialograketen zum Thema Kundenbetreuung ab.
    »Herr Topal, wie ist das werte Befinden?«
    »Danke, gut. Herr von Feuchtleben, ich möchte ...«
    »Und wie geht es der lieben Gattin?«
    »Danke, ebenfalls blendend. Herr von Feuchtleben, ich bin hier, weil ich …«
    »War nicht auch Nachwuchs unterwegs?«
    Gut, wenn der Bankheimer jetzt Erkundigungen bis hin zur siebzehnten Verästelung meiner Verwandtschaft einzuholen gedachte, würde ich mein Anliegen nie und nimmer an den Mann bringen. Also galt es, den Pfad der Höflichkeit zu verlassen und, einem Tupamaro gleich, unübliche Wege zur Durchsetzung meiner Interessen zu beschreiten. Ich tat also, als hätte ich seine letzte Frage nicht gehört. »Herr von Feuchtleben. Mein heutiges Anliegen …«
    »Die Eltern sind hoffentlich auch bei guter Gesundheit?«
    Jetzt war aber Schluss mit Stuss. Ich schaute mir den Mann genauer an. War er überhaupt ein menschliches Wesen? Oder nur eine hohle Hülle, die in ihrem Inneren einen Sprachcomputer beherbergte? Spulte der Robobanker vielleicht gerade unbeirrt von meinen Antworten das Programm »Konversation für Einsteiger« ab? Trotzdem brauchte ichvon dieser Humansimulation unbedingt eine Kreditzusage. Darum versuchte ich, ihn mit ein wenig menschlicher Zuneigung zu stoppen.
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