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Das Dach kommt spaeter

Das Dach kommt spaeter

Titel: Das Dach kommt spaeter
Autoren: Murat Topal
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Gelddingen nicht war, schien ihn persönlich zu kränken. Also liefen unsere Gespräche immer nach demselben Muster ab. Herr von Feuchtleben begrüßte mich im wahrsten Wortsinn von oben herab, erinnerte sich dann jedoch, dass ich Beamter und damit ein potentiell interessanter Fall war, und verknäulte sich schleunigst hinter seinem Schreibtisch. Während seine Fliege unruhig mal nach links, mal nach rechts schwankte, erkundigte er sich dienstbeflissen nach meinem Begehr. Kaum merkte er, dass ich schon wieder all seine todsicheren Anlagetipps in den Wind geblasen hatte und nur einen weiteren Kleinkredit erbetteln wollte, richtete er den zusammengefalteten Oberkörper zu voller Höhe auf und ließ seiner schlecht kaschierten Überheblichkeit freien Lauf.
    Nun müsste mir irgendein Weltenkenner bitte erklären, weshalb Banker bei dem Wort »Kleinkredit« reflexartig diesen abschätzigen Blick bekommen, der einem unzweideutig sagt:
Freundchen, du tarnst dich mit einem gepflegten Äußeren. Aber in Wirklichkeit bist du voll auf der Schussfahrt ins Tal und spätestens morgen ein vollwertiges Mitglied des Prekariats.
Verstehe ich da als vermeintlicher finanzieller Analphabet irgendetwas falsch? Ist es nicht so, dass regelmäßig ausgereizte Dispokredite für Banken sichere und lukrative Einnahmequellen sind? Gebührt uns Kleinkreditvieh daher nicht ein wenig mehr Respekt?
    Wie dem auch sei, dieses Mal war die Ausgangslage eine andere. Denn zum ersten Mal wollte ich von dem Wächter des zu vergebenden Schatzes nicht nur ein paar mickrige Münzen haben. Um meiner Familie ein würdiges Zuhause bieten zu können, war nach ersten Kalkulationen Geld nötig. Genauer gesagt: ziemlich viel Geld. Angeblich brachtendie Krötenschieber ihren Großschuldnern ja eine ganz andere Wertschätzung entgegen als dem riesigen Heer der Minidebitoren. Großschuldner sind halt respektabler und punkten mit einer umfassenden Zukunftsvision, ohne die das kapitalistische System nach allgemeiner Ansicht nicht funktionieren kann. Seit meinem nächtlichen Erweckungserlebnis meinte ich, zum Club dazuzugehören, denn: Ich hatte die Vision. Und ich brauchte das Geld. Dieses Mal also sollte das Gespräch mit Senior Custom Manager Feuchtleben auf einer neuen hierarchischen Grundlage ablaufen.
    All dies waberte mir im Vorfeld des Kreditduells durch den Kopf. Noch in der Nacht hatte ich Ann-Marie nach dem kleinen Zwischenspiel mit unserem Kleinen geweckt, was sich wegen ihres komatösen Schlafes als echte Herkulesaufgabe erwies, und ihr von meinem spirituellen Erweckungserlebnis berichtet.
    »Schatz, ich werde Kapital beschaffen und dir und unseren Kindern ein wundervolles Heim kaufen. Ich weiß jetzt, dass wir zu Höherem berufen sind.«
    Hoffnungsfroh wartete ich auf Lob, rückhaltlose Bewunderung und vielleicht sogar eine kleine zärtliche Belohnung. Aber meine Liebste war mitten in meiner heroischen Rede wieder eingeschlafen. Enttäuscht drehte ich mich auf die andere Seite und versuchte ebenfalls, in Morpheus’ Arme zu sinken.
    Als mich meine schlafsüchtige Angetraute am nächsten Morgen mit einem zärtlichen Kuss weckte, war das Zutrauen in meine neuen Möglichkeiten leider geschmolzen. Ihre wahrscheinlich aufmunternd gemeinte Begrüßung: »Murat, ich zähle auf dich. Du wirst das Geld schon besorgen«, trug ebenfalls nicht gerade dazu bei, meine Zuversicht zu heben. In mir nagte wieder die übliche Sorge, in den Verhandlungen mit Herrn von Feuchtleben schlecht abzuschneiden.Dieses Mal jedoch beschloss ich, mich von meinen Ängsten nicht ins Bockshorn jagen zu lassen, und begann den Tag zur Stärkung des Selbstbewusstseins mit einem üppigen Frühstück und einigen entspannenden Muskelübungen. Danach spürte ich, wie mein innerer Eisenhans bereit war, den Kampf um die mir vom Schicksal zugedachte Jugendstilvilla mit aller Macht und Zielstrebigkeit wiederaufzunehmen.
    Verabredet waren Feuchtleben und ich für halb zwei. Es blieb also noch etwas Zeit, in der ich wie ein Boxer in unserer Miniaturküche herumtänzelte und hochgewachsene imaginäre Gegner mit präzis geschlagenen Haken zu Boden streckte. Kurz nach eins hatte ich von der Wucht meiner Luftschläge Schulter- und Rückenschmerzen. Beim Hinabsteigen der Treppen fühlte ich mich wie Jopi Heesters nach seiner letzten Tanzeinlage und hatte sogar Schwierigkeiten, mich auf meine treue Honda zu schwingen. Auf eine geheimnisvolle Art hatten die K.o.-Schwinger auch den Eisenhans in mir ausgeknockt.
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