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Das Crusenriff

Das Crusenriff

Titel: Das Crusenriff
Autoren: Hubert Haensel
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auffordernden Blick. Seine wulstigen Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Grinsen.
    Zwei DRAGOMAE-Kristalle hatte er erst verschoben, als die Schlange einen fürchterlichen Schrei ausstieß. Zugleich sah es so aus, als würden winzige Flammen über ihre Schuppen huschen.
    »Aufhören!« sagte sie. »Ich werde tun, was du verlangst.«
    »Bringe Carlumen zum Crusenriff!«
    Nadomir schob die beiden Kristalle auf die Ecken des Siebensterns zurück, auf denen sie zuvor gelegen hatten. Im gleichen Augenblick verschwand die Schlange Yhr wie ein unheimlicher Spuk.
    Zögernd änderte die Fliegende Stadt ihren Kurs.
    Xyrana stand am Rand der Stadt und blickte hinaus in die Dämmerung, die ihr vertrauter erschien als alles, was sie während der letzten Wachperioden erlebt hatte. Noch immer erschauderte sie, wenn sie an diese bedrückende Helligkeit dachte und an die endlose Weite vor und über sich, als die Yarls nach Äonen der Hoffnung und des Wartens endlich die Grenze der Schattenzone überschritten.
    Vielleicht hatten die Rohnen schon zu lange gewartet, um wirklich auf all das vorbereitet zu sein, was vor ihnen lag.
    Vielleicht hatte aber auch ihr Schutzpatron Goolux sich vor ebenso langer Zeit geirrt, als er den Bewohnern der Nomadenstadt Yirzahoo das Lichte Land Heluma zur Verheißung machte.
    Xyrana fühlte, wie es heiß über ihre Wangen rann. Doch sie schämte sich ihrer Tränen nicht. Wer war unter den 400 Rohnen, der nicht einen seiner Sippe verloren hatte? Sie selbst trauerte um Vater, Mutter und zwei Schwestern, deren Tod niemand hatte verhindern können.
    Wie wohltuend erschien ihr doch die Düsternis nach all den Schrecken des Tages.
    Sie war ein Kind der Dämmerung.
    Xyrana erschrak, als eine Hand sich auf ihre Schulter legte. Ein Lippenpaar berührte ihren Nacken.
    »Hermon?«
    »Ich sah dich in die Finsternis starren, als wolltest du die Seelen der Verstorbenen zurückrufen. Es ist vorbei, Xyrana, freue dich, daß wenigstens wir leben dürfen.«
    Sie preßte ihm die Finger auf den Mund.
    »Wir sind Fremde in dieser Stadt, die uns nicht gehört. Wissen wir, ob wir nicht morgen schon verstoßen werden?«
    » Carlumen ist unsere einzige Zuflucht. Wo sonst sollten wir hingehen? Es gibt keine Heimat mehr für uns.«
    »Keine Heimat und keine Zukunft.«
    Sie kannten sich, seit sie Kinder gewesen waren. Ihre Hütten hatten auf demselben Yarl gestanden, und oft hatten sie gemeinsam nach dem hellen Streifen am nördlichen Horizont gesucht, der ihnen damals wie der Inbegriff allen Glücks erschienen war.
    Erschreckend nahe zog eine Reihe nadelspitzer Felsen vorbei. Ein grauenhafter Schrei hallte durch die Finsternis – der Todesschrei eines Lebewesens.
    Ängstlich klammerte Xyrana sich an den Arm ihres Gefährten.
    »Fühlst du, wie fremd dies alles ist. Wir werden uns nie an das Leben auf dieser Fliegenden Stadt gewöhnen können. Für ihre Bewohner bedeuten wir eine Last. Hast du die geringschätzigen Blicke bemerkt, mit denen die Amazonen uns bedenken, spürst du die Ablehnung, die uns von den Kriegern entgegenschlägt?«
    »Du urteilst zu schlecht über die Carlumer, Xyrana. Immerhin haben sie viel gewagt, als sie sich den besessenen Yarls entgegenstellten. Mythor sagt, daß er selbst diesem Schicksal knapp entgangen sei.«
    »Ich habe trotzdem Angst, Hermon. Wer von uns kann wirklich kämpfen und mit den Waffen, die sie besitzen, umgehen? Selbst der angebliche Sohn des Kometen wird uns wie eine giftige Frucht wieder fallen lassen, sobald er dies erkennt.«
    Xyrana war verbittert. Mit Worten allein würde sie sich nicht umstimmen lassen. Hermon wußte, daß sie Zeit brauchte, um das Vergangene zu überwinden.
    Wie gern hätte er sie jetzt in die Arme geschlossen, wäre eins mit ihr geworden trotz der spürbaren Gefahr, die vor Carlumen lauerte. Aber damit hätte er alles nur noch schlimmer gemacht.
    An der Wehr wurden Fackeln entzündet. Ihr flackernder Schein verbreitete einen Hauch von Wärme und ließ zugleich mehr von der näheren Umgebung erkennen. Die Fliegende Stadt drang in eine wesentlich langsamer dahintreibende Wolke ein, deren düsteres Rot sich wie ein Leichentuch herniedersenkte. Ein grauenvolles Geräusch wurde hörbar, als wetze jemand mit einem riesigen Schleifstein über den Rumpf.
    Die Wolke bestand aus Sand, und was mit ihr über Carlumen hereinbrach, war schlimmer, als geriete man unversehens in einen Sandsturm. Selbst die Hand vor Augen ließ sich nur mehr erahnen. Eng umschlungen, die
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