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Das Crusenriff

Das Crusenriff

Titel: Das Crusenriff
Autoren: Hubert Haensel
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fühlte sich unendlich leicht, als wäre sein Körper nur mehr ein Teil der Luft, durch die er schwebte.
    Wo bin ich?
    Das Land unter ihm erstrahlte in üppigem Grün – eine Farbe, die es in der Schattenzone so gut wie nirgends gab. In weiter Ferne ragten schneebedeckte Gipfel auf, die sich zwischen den Wolken verloren.
    Ioban spürte, daß dies ein Land des Friedens war.
    Er verharrte in Ehrfurcht.
    Ein Licht, heller noch als die Sonne, stürzte auf die Welt herab. Sein gleißender Schein warf keine Schatten.
    Ioban sank auf die Knie. Er hatte die Hände vor die Augen geschlagen, um nicht zu erblinden. Doch diese Helligkeit war wohltuend.
    » Verbirg dich nicht, Ioban, denn der Tag deiner Bewährung ist nahe. Hast du dich nie gefragt, ob nicht die Mächte des Schicksals deinen Weg durch die Schattenzone lenkten? «
    Das Licht blendete, dennoch glaubte er, die schattenhaften Umrisse eines Tieres wahrzunehmen, das friedlich in der Ebene graste. Er erinnerte sich einer Legende, die er irgendwann gehört hatte: die Legende vom Lichtboten, der auf seinem Kometentier herabsteigen’ würde, um die Herrschaft der Dunkelheit für immer zu tilgen …
    Jäh wurde Ioban in die Wirklichkeit zurückgezerrt. Heftige Schläge ließen seinen Schädel dröhnen.
    »Den Göttern sei Dank, er hat es überstanden.«
    Zertreten und von einer scharfen Klinge durchtrennt, lagen unzählige Korallenäste vor seinen Füßen. Grinsend schob Yurkas soeben sein Schwert in die Scheide zurück. In der anderen Hand hielt er ein Bündel rotbrauner, kaum fingerdicker, knorriger Äste.
    »Ihr sollt euer Salz nicht verschwenden«, rief Ioban erregt aus. »Auch nicht wegen mir.«
    »Steinsalz«, bemerkte Yurkas abwertend.
    »Auch das ist wertvoller als Gold.«
    Was hatte er erlebt – einen Traum, eine Prophezeiung? Hatte er wirklich das Kometentier des Lichtboten gesehen?
    Yurkas antwortete mit einer unmißverständlichen Handbewegung.
    »Du hättest den Korallen rechtzeitig ausweichen müssen«, tadelte einer den anderen Jäger, die sich inzwischen eingefunden hatten. »Haben wir nicht von dir gelernt, den Gefahren des Riffs überall und jederzeit zu begegnen?«
    Ioban nickte verbittert.
    Er erinnerte sich, die rotbraune Saat schon während der letzten Flut bemerkt zu haben, und er wüßte, mit welcher Schnelligkeit sie wuchs. Dabei hätte es genügt, mit dem Einbaum nur fünf Schritte weit auszuweichen.
    »Gib mir einen davon«, bat Ioban, als der Jäger alle Korallenäste in seinen Gürtel stecken wollte.
    Niemand vermochte zu sagen, ob es sich um Tiere handelte, um Pflanzen oder gar um dämonische Brut. Diese Korallen lauerten überall, in Höhlen, unter Steinen verborgen. Sie waren tückischer als Polypen und kräftiger als selbst die größten Crusen. Ioban hatte mehr als nur einmal gesehen, was aus ihren Opfern wurde: blutleere, geschrumpfte Hüllen, die innerhalb weniger Tage zu Staub zerfielen. Aber sie waren auch verwundbar; schon ein Hauch von Salz ließ sie für lange Zeit erstarren.
    »Komm«, sagte Yurkas, dem das Zögern des Alten auffiel. »Wir können uns die Beute nicht entgehen lassen.«
    In dieser Tiefe war die Luft schwer genug, um einen Menschen zu tragen. Ioban machte es den Jägern nach, die sich abstießen und von der Strömung treiben ließen. Mit rudernden Bewegungen war es ihnen sogar möglich, die Richtung zu ändern.
    Auf diese Weise gelangten sie rasch in eine Seitenschlucht, wo sich in einer Zone stehender Luft Treibgut angesammelt hatte. Yurkas wirkte ungehalten, als er sah, daß andere Jäger bereits einen Großteil der Beute an sich gebracht hatten.
    »Verschwindet!« rief er ihnen zu. »Diese Schlucht gehört zu unserem Gebiet.«
    Die anderen lachten nur.
    »Bevor die Crusen alles verdauen, holen wir es uns lieber.«
    »Nun sind wir hier«, erwiderte Yurkas und zog sein Schwert. »Ich möchte den sehen, der uns das Recht abspricht, zu nehmen, was uns gehört.«
    Zählte man Ioban mit, waren sie vier gegen acht. Es gab verschiedene Gruppen, die miteinander im Wettstreit lagen. Allerdings war es noch nie soweit gekommen, daß man sich gegenseitig mit den Waffen zu Leibe rückte. Alle lebten ganz gut von dem, was sie den Crusen abjagten.
    Diesmal aber hatten die anderen Jäger eine ansehnliche Beute zusammengetragen, für die es sich lohnte, aufeinander einzuschlagen.
    »Auch gut«, zischte Yurkas verächtlich. »Wir verzichten nicht.« Daß Ioban zu beschwichtigen versuchte, beachtete er kaum.
    Auf zehn Mannslängen
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