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Das Crusenriff

Das Crusenriff

Titel: Das Crusenriff
Autoren: Hubert Haensel
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ein nie versiegender Quell war. Ioban mochte uralt sein, sein schlohweißes Haupthaar, das ihm bis weit über die Schultern reichte, hatte er ebenso wie seinen dichten Vollbart zu Zöpfen geflochten und diese zu kunstvollen Knoten geschlungen. Sein Wams war längst zerschlissen und ließ die einstige Farbenpracht nur mehr ahnen.
    Ioban lebte allein in seiner Hütte, die er aus Treibholz auf der Schale einer jungen, kaum zwanzig Schritte durchmessenden Cruse errichtet hatte. Er galt als Weiser und genoß demzufolge einige Achtung, denn er kannte Dinge und Namen, von denen andere nie gehört hatten. Und er verstand es, selbst größere Wunden zu heilen.
    Im Grunde seines Herzens war Ioban stets einsam geblieben. Er träumte oft, und nur in seinen Träumen durfte er wirklich glücklich sein. Dann sah er wieder die Sonne, glaubte, ihre wärmenden Strahlen auf der Haut zu spüren, die längst bleich und faltig geworden war. Wenn er anderen von der Freiheit des Himmels erzählte, vom Spiel der Wolken, schüttelten sie verständnislos den Kopf.
    Das alles vermißte Ioban. Wenngleich es ihm nicht am Willen mangelte, eine Rückkehr in seine Heimat wenigstens zu versuchen, so doch an der Kraft des Körpers.
    Über die östliche Steppe Aylands hallte der Ruf seines Tokapis. Das Tier war schnell und ausdauernd, und die kleine Herde wilder Graupferde, die Ioban jagte, würde ihm nicht entkommen. Ein frischer Wind wehte von Norden her; der Ay verfluchte diese Tatsache, hatten doch die Pferde seine Witterung frühzeitig aufgenommen.
    Zwischen den beiden gebogenen Hörnern seines Reittiers spannte sich die Bogensehne. Iobans erster Pfeil traf eines der Graupferde, brachte es aber nicht zu Fall. Laut wiehernd warf es sich herum.
    Er wäre ein schlechter Jäger gewesen, hätte er das verwundete Tier sich selbst überlassen, nur um die Herde nicht zu verlieren.
    Der Ay trieb sein Topaki zu noch größerer Eile an.
    Das Gelände wurde hügeliger, ausgedehnte Geröllfelder begannen. Nicht mehr weit im Süden erhob sich wie ein drohender Wall die Düsterzone. Etwas Bedrohliches, Furchteinflößendes ging von ihr aus.
    Der Ay schleuderte eine Reihe von Verwünschungen gegen die Schattenzone. Er mußte das Tier erlegen. Seit mehreren Monden hatte niemand in seinem Dorf mehr frisches Fleisch gegessen – seit die schrecklichen Drei vom Hungerturm alles Vieh davongetrieben hatten.
    Der Wind drehte, blies jetzt von Osten her;. Staub verschleierte die Sicht. Ioban zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht.
    Von irgendwoher erklang ein kurzes, abgehacktes Wiehern. Der Wind trug ihm die Laute zu. Gleichzeitig wußte der Ay, daß er nun die Beute erlegen würde.
    Da war ein Licht zu seiner Rechten. Aus den Augenwinkeln heraus nahm er es wahr, aber als er den Kopf wandte, schien es verschwunden.
    ’Hinter einem Hügel wälzte sich das Pferd auf dem steinigen Boden und versuchte so, den abgebrochenen Pfeil in seiner Flanke loszuwerden. Diesmal zielte Ioban sorgfältig und traf.
    Da war das Leuchten wieder, nachdem er abgesessen war. Es zog ihn in seinen Bann.
    Von einem Herzschlag zum anderen schien die Jagdbeute vergessen. Er wandte sich gen Süden, begann zu rennen, immer schneller, bis sein Atem hart und keuchend ging und es in seinen Lungen wie Feuer brannte.
    Das Böse Auge der Quida hatte ihn gerufen; er konnte nicht anders, als diesem Ruf zu folgen. Zu stark war der magische Einfluß, dem immer wieder Ays verfielen.
    Plötzlich verlor er den Boden unter den Füßen. Wild mit den Armen rudernd, stieg er höher und höher empor, und die Furcht schnürte seine Kehle zu.
    Die Düsternis sog ihn auf, und das letzte, was er wahrnahm, war ein anschwellendes Brausen wie von einem herannahenden Sturm…
    Mit einem heiseren Schrei auf den Lippen schreckte Ioban hoch. Er benötigte eine Weile, um zu begreifen, daß alles nicht wirklich war. Oft träumte er von damals, als ein ungnädiges Schicksal ihn tief in die Schattenzone verschlagen hatte.
    Wie lange mochte das inzwischen her sein?
    Er wußte es nicht genau, hatte vor Jahren schon aufgegeben, die Tage zu zählen. Es gab nichts mehr außer seinen Erinnerungen, die ihn noch mit der Vergangenheit verbanden.
    Nur das Brausen war geblieben. Ioban hob den Kopf und lauschte. Die Geräusche wurden von der im Riff auflaufenden Strömung erzeugt. Zweifellos hatte sie sich verstärkt. Das bedeutete, daß wieder sehr viel Treibgut angeschwemmt werden würde.
    Müde erhob sich Ioban und verließ seine
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