Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Camp

Titel: Das Camp
Autoren: Harald Tondern
Vom Netzwerk:
trat, konnte Luk den Schwung gerade noch mit dem Fuß abfangen. Um ein Haar wäre er von der Sitzbank gerollt.
    »Mist!«, sagte Schmeling.
    Der Bus schlingerte leicht. Wenige Zentimeter hinter dem Wagen vor ihnen brachte Schmeling ihn zum Stehen. Luk setzte sich auf. Er sah, wie Schmeling hastig ans Armaturenbrett griff und die Warnblinkanlage anschaltete. Rechts und links von ihnen stoppten andere Autos. Höchstens 50 Meter vor ihnen warnte ein blaues Autobahnschild vor der Auslösung der Höhenkontrolle. Luk kannte das von Wochenendausflügen mit seinen Eltern. Wenn ein Trucker vergaß, dass seine Ladung höher war als erlaubt, wurde er
kurz vor der Tunneleinfahrt gestoppt: Alle Ampeln gingen auf Rot.
    Sie waren am Elbtunnel! Wo sonst hier oben im Norden staute sich der Verkehr so zuverlässig wie vor dem Nadelöhr in Hamburg? Luk sah nach rechts. In dem Auto neben ihnen wurde die Innenbeleuchtung angeschaltet. Der Mann am Steuer nahm der Frau neben ihm die Straßenkarte weg und schaute irgendwas nach.
    Luk rückte dichter an die Tür heran. Vielleicht schaffte er es, die Leute auf sich aufmerksam zu machen. Aber wie sollte das gehen mit auf den Rücken gefesselten Händen? Er riss den Mund weit auf, als ob er verzweifelt um Hilfe schrie.
    »Hoffnungslos«, sagte Harry. »Die sehen dich nicht. Unsere Scheiben sind zu dunkel.«
    Natürlich hatten seine Entführer gemerkt, was er vorhatte. Aber sie lachten nur. »Soll ich ihm mal die Innenbeleuchtung anmachen?«, fragte Schmeling.
    »Nee, lass mal. Ich weiß was Besseres.« Harrys Pferdeschwanzkopf verschwand nach unten. Luk hörte Harry unter dem Sitz herumwühlen. Gleich darauf richtete er die Fernbedienung auf Luk. Der orangefarbene Overall begann zu blinken.
    Luk sah, wie sich im Nachbarwagen hinter den beiden Erwachsenen zwei Kinder auf der Rückbank aufrichteten. Begeistert drückten sie ihre Gesichter ans Fenster. Die ganze Familie machte ihm Zeichen, dass er gefälligst ein bisschen herumhampeln sollte. Nee, dachte er und ließ sich zur Seite aufs Polster fallen, damit sie ihn nicht mehr sehen konnten.
    Nachdem sie den Elbtunnel hinter sich hatten, bogen sie nach Osten ab, Richtung Berlin. Inzwischen war es fast 21 Uhr, wie Luk auf der blau schimmernden Uhr am Armaturenbrett ablas. Seit über vier Stunden war er in der Hand
dieser Typen. Und noch mal zwei Stunden später ging Schmeling abrupt mit der Geschwindigkeit hinunter und bog von der Autobahn ab.
    Luk war alarmiert. Wollten die etwa nach Polen mit ihm?
    Sie fuhren auf abgelegenen Landstraßen weiter. Nur ein einziges Mal kam ihnen ein Auto entgegen. Mit voll aufgeblendeten Scheinwerfern.
    »Arschloch!«, schrie Schmeling. »Wetten, dass der total besoffen ist?«
    Harry antwortete nicht. Er hatte gerade das Seitenfenster runtergleiten lassen und eine brennende Kippe rausgeworfen. Zum Glück ließ er das Fenster eine Weile offen, während er sich vorbeugte und die nächste Zigarette in die flackernde Flamme seines Sturmfeuerzeugs hielt. So konnte wenigstens ein Teil des dichten Qualms im Bus nach draußen abziehen.
    Luk lag wieder auf der Seite. Hin und wieder schaffte er es, im richtigen Moment den Kopf zu heben. Aber die Ortsnamen, die er auf den Schildern las, sagten ihm nichts. Er hatte noch nie von ihnen gehört.
    »Dort vorn ist es«, sagte Harry plötzlich.
    »Weiß ich selbst.« Schmeling bremste so spät, dass er ein ganzes Stück zurücksetzen musste, damit er in die schmale Waldstraße einbiegen konnte, die nach rechts abzweigte.
    Luk hatte sich schnell aufgerichtet. Er sah gerade noch, wie der Lichtkegel der plötzlich aufgeblendeten Scheinwerfer über einen gelben Richtungsanzeiger huschte, auf dem nichts stand. Kein Ortsname. Gar nichts.
    Nicht dass die Schrift verblichen war. Das mit einer fingerbreiten schwarzen Linie gerahmte Gelb glänzte noch fast wie neu im grellen Aufblendlicht. Als ob das Schild nicht vor Ewigkeiten aufgestellt worden war, sondern erst vor wenigen Monaten, allerhöchstens vor ein oder zwei Jahren.

    Luk war nun hellwach. Er hatte sich wieder aufgesetzt. Der Schmerz in den Schultern wurde stechender. Egal. Wahrscheinlich würde die Fahrt jetzt sowieso nicht mehr lange dauern.
    Die Straße war nicht übermäßig breit. Sie führte schnurgerade in einen Wald hinein. Der Asphalt schien ziemlich neu zu sein, war aber immer mal wieder über mehrere Meter am Rand abgebrochen. Als ob dort Bauern mit einem zu großen Traktor gefahren waren oder irgendwelche
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher