Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch Rubyn

Das Buch Rubyn

Titel: Das Buch Rubyn
Autoren: John Stephens
Vom Netzwerk:
wenn ich mich dort aufgehalten hätte?«
    Michael spürte eine kühle Brise im Nacken. Der Sturm kam immer näher. Kate hatte inzwischen bestimmt das Buch geholt. Er musste sich beeilen …
    »Fantastisch!« Mr Hartwell Weeks krümmte sich leicht vor und breitete die Arme aus. »Ich sehe es genau vor mir! Die Schlacht um das Waisenhaus. Diese herzlosen Rebellen! Das Brüllen der Kanonen! Bumm! Bumm! Tote Waisenkinder liegen kreuz und quer auf dem Boden wie Konfetti! Das müssen Sie auf die Bühne bringen, Crummy …«
    »Crumley, bitte. Aber damals war es noch gar kein Waisenhaus …«
    »Lassen Sie sich doch von Details die Show nicht verderben! Wenn Sie die Schlacht inszenieren, nehmen wir Sie mit auf die Tourliste. Ich habe noch Südstaaten-Uniformen. Und für die Kanonen kann ich Ihnen einen guten Preis machen. Sie müssen lediglich für die toten Waisenkinder sorgen!«
    »Ja, gewiss doch«, gluckste die nudelhalsige Dame.
    »Natürlich keine echten toten Waisen. Wir sind ja keine Barbaren.«
    »Miss Crumley«, meldete sich Michael zu Wort.
    Die Leiterin des Waisenhauses hörte ihn nicht. Ihre Gedanken wanderten auf einem nachgestellten Schlachtfeld umher, das ihr Busladungen voll zahlender Touristen einbringen würde.
    »Mr Weeks«, sagte sie und rieb sich die Hände, »kommen Ihnen zehn Dollar als Eintritt nicht ein bisschen wenig vor? Wären zwölf nicht angemessener?«
    »Zwölf? Ha!« Der teigige Mann pikste sie mit seiner Gabel in den Bauch und entlockte ihr ein Kichern. »Sie sind von der hungrigen Sorge, stimmt’s? Also schön …«
    »Miss Crumley!«
    Die Gespräche ringsum verstummten. Michael sah, wie sich die Waisenhausleiterin versteifte. Die nudelhalsige Dame spähte zu ihm hinunter, wobei sich ihr Hals zu einem U verbog.
    »Crummy«, dröhnte Mr Hartwell Weeks, »ich glaube, wir haben schon den ersten Freiwilligen! Na, wärst du gern ein totes Waisenkind?«
    Miss Crumley wandte sich langsam um. Ihr Lächeln klebte noch auf ihrem Gesicht, aber ihre Augen verrieten den unbändigen Zorn, der sie gepackt hatte. Mit gepresster Stimme fragte sie: »Ja, mein Lieber?«
    »Ich brauche den Schlüssel für Ihr Büro«, sagte Michael und rückte nervös seine Brille zurecht. »Es … es wird gleich was Schlimmes passieren.«
    »Habt ihr das gehört?«, blökte Mr Weeks den Partygästen zu. »Etwas Schlimmes wird passieren! Was denn, mein Junge? Glaubst du etwa, die verdammten Rebellen werden wieder angreifen? Zum Henker, ich wünschte, sie würden es tun! Ich würde diesen Hundesöhnen mal gründlich in den Hintern treten! Ha! So etwa!« Er stieß seine Gabel in Richtung eines alten Mannes, der mit einem Rollator unterwegs war, und schrie: »Zurück in den Urwald, ihr Wilden!« Der alte Mann humpelte eilig davon.
    Miss Crumley schob ihr Gesicht ganz nah an Michaels heran und senkte ihre Stimme, sodass nur er sie hören konnte.
    »Hör mir zu, kleiner Teufel, du drehst dich jetzt schön brav um und marschierst wieder ins Haus. Hast du mich verstanden?«
    »Nein, Sie haben nicht verstanden …«
    »Ich sagte: Abmarsch!« Sie zischte jetzt mit zusammengekniffenen Augen. »Es sei denn, du möchtest deiner Schwester Gesellschaft leisten …«
    Einer Frau wurde der wagenradgroße Hut vom Kopf geweht, der dann über den Rasen trudelte. Der Wind trug auch einen Stapel Servietten davon, die fein säuberlich auf dem Tisch gelegen hatten, erst eine, dann zwei und schließlich ein gutes Dutzend. Wie ein Vogelschwarm flatterten sie davon.
    »Also ich muss schon sagen, Crummy«, sagte Mr Hartwell Weeks und deutete mit einem teigigen Finger nach oben. »Die Wolken da sehen gar nicht gut aus.«
    Bei diesen Worten drehten sich viele Partygäste um, genau in dem Moment, als die Wolkenbank die Sonne auslöschte. Es war, als würde im Bruchteil einer Sekunde die Nacht anbrechen. Ein kollektives Aufkeuchen erklang, und Michaels Herz wurde schwer, als er sah, wie sich die Wolken immer dichter zusammenbrauten, wie eine stetig anwachsende Welle. Dann roch er Schwefel und sah gebannt eine graue Regenwand quer über den Spielplatz heranstürmen und alles auf ihrem Weg verschlingen. Mr Hartwell Weeks, der Schrecken der Konföderierten, kreischte auf: »Rennt um euer Leben!« Und dann brach das Chaos aus. Regen prasselte auf das Zelt. Michael wurde zu Boden gestoßen. Er versuchte, sich wieder aufzurappeln, während die Leiterin des Waisenhauses flehentlich rief: »Es ist doch nur ein Schauer! Das geht gleich vorbei! Bleiben Sie doch,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher