Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch Rubyn

Das Buch Rubyn

Titel: Das Buch Rubyn
Autoren: John Stephens
Vom Netzwerk:
Zitat für diese Gelegenheit. Vielleicht kannst du es irgendwie einflechten. Moment mal …« Er griff in seine Tasche und Kate wusste ganz genau, dass er gleich Alles über Zwerge herausziehen würde. So wie sie das Medaillon ihrer Mutter nie aus den Augen lassen würde, so bewahrte Michael das kleine ledergebundene Buch wie einen Schatz auf. In der Nacht, als sie von ihren Eltern getrennt wurden, hatte ihr Vater es seinem Sohn auf die Bettdecke gelegt. In den Jahren, die folgten, hatte Michael das Zwergenhandbuch Dutzende Male gelesen. Es war, so wusste Kate, für Michael eine Möglichkeit, einem Vater nahe zu sein, an den er sich kaum erinnern konnte. Dadurch hatte er für alles, was Zwerge betraf, ein Faible entwickelt – was sich bei den Ereignissen in Cambridge Falls, als sie einem Zwergenkönig geholfen hatten, seinen Anspruch auf den Thron durchzusetzen, als äußerst nützlich erwiesen hatte. Für diese Unterstützung hatte Michael von König Robbie McLaur einen silbernen Orden bekommen und war zum Königlichen Wächter über alle Zwergentugenden ernannt worden. Mehr als einmal hatten Kate und Emma ihn dabei ertappt, wie er – den Orden an die Brust geheftet – sich im Spiegel betrachtete und dabei eine möglichst imposante Haltung einzunehmen versuchte. Kate hatte Emma beschworen, ihren Bruder deswegen nicht aufzuziehen, aber Emma hatte abgewunken und gemeint, das sei unter ihrer Würde.
    »Also, wo haben wir es denn …?« Das Zwergenhandbuch war etwa so groß und so dick wie ein Gebetbuch. Der schwarze Ledereinband war abgewetzt und vernarbt. Michael blätterte es durch. »Oh, da ist die Geschichte über diese beiden Elfenprinzen, die einen Krieg angezettelt haben, weil sie sich nicht einigen konnten, wer von ihnen das schönere Haar hätte. Typisch Elfen! Wenn ich ein Elf wäre, würde ich vor Scham in den Boden versinken.«
    »Ach, da ist es! Das Zitat von König Killin Killick … nein ehrlich, so hieß er wirklich! Es ist nicht etwa ein Spitzname, weil er so viele Leute gekillt hat – nun ja, das vielleicht auch –, aber es war trotzdem sein richtiger Name. Und er sagte einmal: Ein großer Anführer lebt nicht in seinem Herzen, sondern in seinem Kopf. « Michael klappte das Buch zu und lächelte. »Im Kopf, nicht im Herzen. Das ist der Punkt. Das muss sie lernen. Und zwar schleunigst.«
    Nachdem Michael gesagt hatte, was zu sagen war, rückte er die Brille auf seiner Nase zurecht und schaute seine Schwester erwartungsvoll an.
    Michael war ein Jahr älter als Emma. Genauer gesagt, fast ein Jahr. Was bedeutete, dass sie jedes Jahr ein paar Wochen lang gleich alt waren. Und das war für Michael immer die schlimmste Zeit des Jahres. Als Zweitältester von drei Geschwistern klammerte er sich an die Überlegenheit seiner kleinen Schwester gegenüber. Dass er und Emma oft für Zwillinge gehalten wurden, war dabei nicht besonders hilfreich. Sie hatten beide kastanienbraune Haare, dunkle Augen und die gleiche schmale Statur. Kate wusste, dass Michael eine Heidenangst hatte, Emma würde ihm eines Tages über den Kopf wachsen. Ihr war aufgefallen, dass Michael jedes Mal, wenn Emma ein Stück größer geworden war, sich besonders aufrecht hielt, als ob er der Meinung sei, dass er dadurch ein paar Zentimeter herausschinden könnte. Aber jedes Mal, wenn er so herumlief, fragte ihn Emma, ob er auf die Toilette musste, bis er es schließlich wieder sein ließ.
    In fünf Tagen würde er dreizehn werden. Kate wusste genau, dass er es kaum erwarten konnte. Und weil er ihr dann nicht mehr so auf die Nerven gehen würde, konnte auch sie es kaum erwarten.
    »Ich werde darüber nachdenken.«
    Er nickte zufrieden. »Was hast du Dr. Pym geschrieben?«, wollte er wissen. »Ich habe gesehen, wie du einen Brief in den Baum gesteckt hast.«
    Auf diese Art blieben sie mit dem Zauberer in Kontakt. Jeder Brief, der in den hohlen Baum gelegt wurde, kam im nächsten Moment bei ihm an. Das jedenfalls hatte er den Kindern weisgemacht. Aber weil sie seit ihrer Ankunft in Baltimore nichts mehr von ihm gehört hatten, fragte sich Kate allmählich, ob nicht alle Nachrichten, die sie ihm geschrieben hatte, noch ungelesen im Baum lagen.
    Kate zuckte mit den Schultern. »Ich wollte wissen, wie lange wir noch hier bleiben müssen.«
    »Wir sind schon fast acht Monate hier.«
    »Ich weiß.«
    »Sieben Monate und dreiundzwanzig Tage, um genau zu sein.«
    Sieben Monate und dreiundzwanzig Tage, dachte Kate. Sieben Monate und dreiundzwanzig
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher