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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden
Autoren: Axel S. Meyer
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seine Familie, Alexandra und Odo.
    Die Soldaten traten zur Seite und öffneten die Tür. Siegfried küsste seinen Sohn auf die Wange, eine Geste, die dem harten Mann einen weichen Zug verlieh. Dann kehrte der Graf zu seinen Männern zurück, um sie in die Schlacht zu führen.
    Odo trat ins Haus. Als die Tür sich hinter ihm schloss, wurde es stockfinster.
    «Leg den Riegel vor.» Das war Alexandras Stimme, irgendwo aus der Dunkelheit; sie klang mühsam beherrscht.
    Odo tastete nach dem Balken und sicherte die Tür von innen. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte er seine Mutter im schwachen Lichtschein,der durch die Ritzen in den Fensterläden sickerte. Alexandra saß zusammengesunken am Tisch, den Kopf in die Hände gebettet.
    «Komm zu mir, mein Junge», flüsterte sie, rückte vom Tisch ab und nahm Odo auf den Schoß.
    Er schmiegte sich an ihren weichen Busen und lauschte ihren flachen Atemzügen. Der vertraute Geruch seiner Mutter gab Odo allmählich das Gefühl von Geborgenheit zurück.
    «Ich habe gewusst, dass du noch lebst», sagte sie. «Ich habe es gewusst   … habe es immer gewusst. Niemand darf meinem Jungen etwas antun.»
    Odo löste sich. Er schaute in ihre tränenfeuchten Augen. «Wie sind die Normannen in die Stadt gekommen?», fragte er.
    «Jemand hat ihnen das Tor geöffnet.»
    Odo sprang entsetzt auf. «Das Tor geöffnet? Aber wer hat so etwas getan?»
    Alexandra zuckte mit den Schultern. Sie erhob sich seufzend und ließ Odo mit seiner Frage allein. Kurz darauf kehrte sie mit einer brennenden Kerze an den Tisch zurück.
    «Siegfried glaubt, jemand habe uns verraten», sagte sie niedergeschlagen.
    Ihre Finger spielten mit dem kleinen Kreuz, das sie an einer feingliedrigen Silberkette um den Hals trug. Siegfried hatte es ihr vor vielen Jahren geschenkt. Es war ein Glücksbringer, der alles Unheil von ihr fernhalten sollte. Das Kreuz glitzerte im Schein der Kerze wie die beiden herrlichen, mit verschiedenen Symbolen geprägten Silberringe, die Alexandras Hände schmückten.
    Odo betrachtete das Gesicht seiner Mutter, das, obwohlin diesem Moment von tiefer Sorge überschattet, so anmutig war wie immer. Ihre Haut schimmerte wie das Licht der aufgehenden Sonne; sie hatte volle rote Lippen, und in ihren dunklen Augen spiegelte sich die flackernde Kerzenflamme, als loderten auf ihren Pupillen winzige Feuer.
    Es waren diese Augen, die Odos Vater um den Verstand gebracht hatten und es noch immer taten. Vor vielen Jahren hatte er Alexandra auf einer Handelsreise kennengelernt, die ihn bis weit in den Süden geführt hatte, jenseits des großen Mittelländischen Meeres. Sie war die Tochter eines arabischen Geschäftsmannes, der Siegfried kostbare Seidenstoffe angeboten hatte, die dieser in Paris gewinnbringend weiterverkaufen wollte. Doch als er Alexandra in dem Haus des Alten erblickte, vergaß er alles Geschäftliche und warb so lange um ihre Hand, bis der Araber einwilligte.
    Und so kehrte Siegfried zwar ohne Seide, aber dafür mit einem weitaus wertvolleren Schatz nach Paris zurück. Um der Liebe seines Lebens nahe sein zu können, gab er seinen Beruf auf und trat in die Armee ein, in der er es rasch zum Hauptmann brachte und schließlich vom König als Graf eingesetzt wurde.
    Es schien, als füge sich alles zum Besten in dieser Verbindung voller Glück und Liebe, die bald von einem gesunden Sohn gekrönt wurde.
    Odo war vom exotischen Aussehen her ganz nach seiner Mutter geraten. Seine Hautfarbe war dunkler als die anderer Pariser Kinder, ebenso sein Haar und seine Augen. Seine Zielstrebigkeit und den unerschütterlichen Willen hatte er jedoch von seinem Vater geerbt.
    «Ich bringe ihn um», fauchte Odo.
    Alexandra ließ das Kreuz los. «Was redest du da?»
    «Den   … den Verräter, der die Normannen in die Stadt gelassen hat. Ich werde ihn töten!»
    «Nein», entgegnete Alexandra. «Das überlässt du deinem Vater. Er wird den Schuldigen ausfindig machen und einer gerechten Strafe zuführen. Wenn   …» Sie verstummte.
    Aber Odo konnte ihr ansehen, was sie hatte sagen wollen:
Wenn wir diesen Tag überleben.
    Stattdessen fragte sie: «Wo steckt eigentlich Allisa?»
    Odo schluckte. Stockend berichtete er, dass die Normannen Allisa misshandelt und umgebracht hatten.
    Alexandras Augen füllten sich mit Tränen. «Und du musstest das alles mit ansehen.»
    Odo nickte stumm.
    «Du darfst dir keine Schuld an ihrem Tod geben», sagte Alexandra sanft. «Du konntest nichts
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