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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden
Autoren: Axel S. Meyer
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Grund zum Grafen gemacht.»
    Siegfried ballte die Hände zu Fäusten. Odo konnte seinem Vater ansehen, dass er sich nur mit größter Mühe zurückhalten konnte, den Verräter nicht auf der Stelle zu töten.
    «Und was springt für dich dabei heraus?», zischte Siegfried.
    «Kannst du dir das nicht denken? Ich werde natürlich der neue Graf – in einem Paris, das von Lothar regiert wird.»
    Plötzlich ließ donnerndes Gebrüll alle Anwesenden zusammenfahren. Ragnar war aufgesprungen, hatte sein Schwert ergriffen und zielte damit auf Ratpot, der erschrocken zurückwich.
    Der Übersetzer sagte: «Der große Ragnar hat genug von eurem Gerede. Du wirst ihm sofort seine Belohnung auszahlen.»
    Ratpot wirkte verunsichert. «Aber ich habe die Schätze nicht hier. In wenigen Tagen werden Lothars Soldaten in Paris eintreffen. Dann soll Ragnar seine Belohnung erhalten.»
    «Er lügt», rief Siegfried dazwischen. «Lothar wird Ragnar niemals etwas geben. Lothar ist ein Vertragsbrecher – ein schamloser Lügner und Betrüger. Er ist eine ebenso falsche Schlange wie Ratpot.»
    Nachdem Ragnar sich Siegfrieds Worte hatte übersetzen lassen, machte sich zum ersten Mal ein Anflug von Verunsicherung auf seinem Gesicht breit. Zögernd schaute er von Siegfried zu Ratpot.
    Dann hob Ragnar sein Schwert, sein linkes Augenlid zuckte.
    Odo biss sich in die Hand, um einen Schrei zu unterdrücken.
    Als Ragnar zuschlug, kreischte Alexandra auf und hielt sich die Hände vor die Augen.
    Mit einem wuchtigen Schlag spaltete Ragnar dem Verräter Ratpot den Schädel. Der Normannenkrieger ließ sich wieder auf den Stuhl sinken. Er nahm einen großen Schluck Wein, während seine Männer Ratpots Leiche in einer Blutspur aus dem Haus schleiften.

6.
    Die Nacht brach herein.
    Man hatte alle verfügbaren Lampen und Kerzen aus dem Haus herbeigeschleppt, um den Raum zu erleuchten. Dann endlich – es kam Odo vor, als sei eine Ewigkeit vergangen – gab Ragnar dem Übersetzer ein Zeichen und erklärte ihm, was zu tun sei.
    Der Rheinländer sagte: «Der Häuptling dieser Stadt, Siegfried von Lutetia, soll seinem weibischen König Karl eine Botschaft des großen Ragnar überbringen. Ragnarwird die Stadt niederbrennen, und er wird alle Gefangenen töten, wenn ihm der König nicht spätestens in zwei Tagen sieben Ochsenkarren voll Silber bringen lässt.»
    «Sieben Wagen!», erwiderte Siegfried. «Aber das sind doch mindestens siebentausend Pfund Silber!»
    Der Übersetzer zuckte mit den Schultern. «Du hast gehört, was der große Ragnar angeordnet hat. Und ich rate dir, seine Gutmütigkeit nicht länger zu strapazieren. Sorg dafür, dass die Dänen ihr Geld erhalten.»
    Siegfried drehte sich zu Alexandra um, die erschöpft an der Wand lehnte. Aber sie beachtete ihren Mann nicht, sondern starrte zu dem Schrank hinüber, hinter dem ihr Sohn seit Stunden in einem winzigen Loch steckte.
    Und allmählich dämmerte es auch Odo, was der flehende Blick seiner Mutter zu bedeuten hatte. Wenn sich Ragnar zwei weitere Tage in dem Haus aufhalten würde, wäre er dazu verdammt, es so lange in dem Versteck auszuhalten. Ohne Wasser, ohne Nahrung, ohne eine Möglichkeit, seine Notdurft zu verrichten   …
    Siegfried schien vom Schicksal seines Sohnes nichts zu wissen, zumindest nicht, dass der Junge sich in unmittelbarer Nähe befand. Odo nahm an, dass Alexandra ihm vorhin nur mitgeteilt hatte, dass er sich um seinen Sohn keine Sorgen zu machen brauche.
    «Was geschieht, wenn ich Ragnars Aufforderung nachkomme?», wollte Siegfried wissen.
    «Dann wird er deine Stadt verschonen und wieder davonfahren», antwortete der Übersetzer.
    Siegfried nickte. «Ich werde noch in dieser Nacht aufbrechen. Aber ich brauche fünf bewaffnete Männer als Begleitschutz und frische Pferde. Karl hält sich in einer Residenz auf, nur wenige Meilen entfernt. Wenn ich ihmvon den Plänen seines Bruders Lothar berichte, dann wird Karl zahlen. Ich könnte bereits morgen früh mit dem Silber zurück sein.»
    Als Ragnar von Siegfrieds Zustimmung erfuhr, nickte er scheinbar ungerührt, aber seine Augen blitzten gierig auf.
    Und da war noch etwas anderes im Blick des Häuptlings, als er seinen Kopf ganz langsam Alexandra zuwandte. Odo konnte sich diesen Ausdruck nicht erklären. Aber er machte ihm große Angst.

7.
    Ein lautes Poltern riss Odo aus unruhigem Schlaf.
    Durch die eingezwängte Haltung spürte er jeden Knochen. Er versuchte, seine Arme seitwärts auszustrecken, um seinen Körper zu dehnen,
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