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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden
Autoren: Axel S. Meyer
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einem Ginsterstrauch. Geduldig wartete der Esel, bis Gregor sich des Bieres entledigt hatte, von dem er sich bereits zum Frühstück einen ganzen Krug gegönnt hatte und zu Mittag einen zweiten und dann, als Nachtisch, einen dritten.
    Gregor war kein Kostverächter. Er hatte die seltene Gelegenheit genutzt, die sich ihm durch die Ausfahrt bot. In Paris hatte er sich an starkem Schwarzbier, knusprig gebratenem Schweinefleisch und in Schmalz gebackenen Vögeln gelabt – Köstlichkeiten, die den Mönchen im Kloster Saint Geneviève, das einst zu Ehren der Apostel Peter und Paul gegründet worden war, niemals aufgetischt wurden.
    Der Mönch war von seinem Abt zu Priester Jakob auf die Seineinsel geschickt worden, wo er in aller Herrgottsfrühe einen Jungen abgeholt hatte, den er in das Kloster bringen sollte. Dort hatte man zwar keinen einzigen freien Platz. Aber Jakob, dem der Abt aus alten, gemeinsamen Tagen verbunden war, hatte all seine Überredungskunst aufgeboten, damit der Junge als Novize aufgenommen wurde.
    Odo sollte Mönch werden.
     
    Der Junge kauerte ganz hinten auf dem Karren, in derselben verkrampften Haltung, in der man ihn vor mittlerweile zwei Wochen aus dem winzigen Loch geborgen hatte. Er drückte die Stirn auf die Knie, seine Arme umschlangen fest die Beine. Seine rechte Hand war zur Faust geballt.
    Gregor stapfte hinter dem Ginster hervor und strich sich die Kutte glatt.
    «He, Junge», rief er, trat von hinten an den Karren und tippte Odo auf die Schulter. «Kannste den Mund halten?»
    Odo hob den Kopf. Er starrte Gregor aus ausdruckslosen Augen an.
    «Ich meine, kannste nicht vielleicht einfach vergessen, dass ich ein bisschen Schwarzbier genascht habe? Musste ja keinem erzählen, wenn du weißt, was ich meine.»
    Odo nickte.
    Gregor rülpste zufrieden. Kichernd hielt er sich eine Hand vor den Mund. Dann kletterte er wieder auf den Karren und schlug dem Esel mit der Peitsche auf das Hinterteil, woraufhin sich das Tier träge in Bewegung setzte.
    Odo schaute zurück auf die immer kleiner werdende Seineinsel. Über der Steinmauer erkannte er auch ausdieser Entfernung noch die Dächer des Regierungsviertels auf der einen und die Türme von Saint Etienne auf der anderen Seite.
    Der Karren rumpelte weiter gen Süden, bald hatten sie die Vorstadt hinter sich gelassen. Die Bewohner waren damit beschäftigt, die Spuren des verheerenden Überfalls zu beseitigen. Sie besserten abgebrannte Dächer aus und errichteten eingestürzte Wände neu. Die frisch ausgehobenen Gräber waren mit Steinen bedeckt und mit schiefen Holzkreuzen markiert worden.
    Siegfried von Lutetia hatte seine letzte Ruhestätte im Regierungsviertel auf einem kleinen Friedhof gefunden. Der Bischof hatte die Grabrede gehalten. An die Einzelheiten der Rede konnte Odo sich nicht erinnern, nur dass sein Vater ein Mann von beeindruckendem Mut gewesen sei; Siegfried habe die Schändung seiner geliebten Ehefrau Alexandra mit dem Schwert rächen wollen und dafür mit seinem eigenen Leben gebüßt.
    Aber all das hatte Odo bereits gewusst.
    Nach seiner Rettung war Odo zunächst von Jakob aufgenommen worden. Der Priester hatte ihm erzählt, dass Siegfried tatsächlich am Morgen nach dem Einmarsch der Normannen mit einem Lösegeld in Höhe von siebentausend Pfund Silber zurückgekehrt war. Der Überfall schien ein glimpfliches Ende zu nehmen. Doch als der Graf von der Vergewaltigung seiner Frau erfuhr, griff er Ragnar an und wurde vom Häuptling erschlagen.
    Was aus Alexandra geworden war, wusste niemand. Einige Soldaten waren der Überzeugung, dass die Normannen sie zusammen mit anderen Frauen auf ihre Langschiffe verschleppt hatten. Die meisten Überlebenden glaubten jedoch, dass Odos Mutter tot war. Einige wolltengar gesehen haben, wie die Heiden eine Frau, deren Haar pechschwarz gewesen sei, vom höchsten Wachturm der Stadt geworfen hatten. Ihr Körper sei bei dem Aufprall auf den Felsen zerschmettert und anschließend von den Fluten mitgerissen worden.
    Immer wieder fragte sich Odo, ob es sich bei dieser Frau um seine Mutter gehandelt hatte. Er presste die Faust fester zusammen, ohne darauf zu achten, dass das, was sich in seiner Hand befand, schmerzhaft in seine Finger bohrte.
    Die hölzernen Räder des Karrens holperten über einen kaum befestigten Weg, der sich durch Felder und Brachland schlängelte. Hin und wieder sang Gregor ein Lied, wenn er nicht gerade damit beschäftigt war, den störrischen Esel anzutreiben.
    Am frühen Abend
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