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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden
Autoren: Axel S. Meyer
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gering.
    Der Häuptling winkte einen seiner Krieger heran und redete auf ihn in einer merkwürdigen Sprache ein, die Odo niemals zuvor gehört hatte. Daraufhin verschwand der Krieger im hinteren Bereich des Hauses, wo sich die Küche und das Vorratslager befanden. Gleich darauf kehrte er mit einem Weinfass zurück. Das Fass wurde geöffnet. Man reichte dem Häuptling ein gefülltes Gefäß, das aussah wie ein Stierhorn. Er leerte es in einem Zug, rülpste und verlangte nach mehr. Auch die anderen Normannen schenkten sich kräftig ein.
    Alexandra, die hinter Siegfried stand, beugte sich zu ihrem Mann vor und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Als der Häuptling das bemerkte, knallte er sein Trinkhorn so hart auf den Tisch, dass der Wein bis an die Wände spritzte.
    Alexandra schreckte zurück, auch die anderen Krieger verstummten.
    Der Häuptling winkte einen Mann zu sich, der zwar zu den Normannen zu gehören schien, sich aber in seiner schlichten Kleidung und seinem glattrasierten Gesicht von den Kriegern unterschied. Er war von gedrungener Statur, sein Blick wirkte verschlagen.
    Nach einer kurzen Unterredung sagte der Mann, dessen Akzent auf eine Herkunft aus dem Rheinland schließen ließ: «Der große und mächtige Ragnar ist der Meinung, dass es nun an der Zeit ist, sich gegenseitig vorzustellen.»
    Siegfried verzog verächtlich die Mundwinkel. «Der Mann weiß doch längst, wer ich bin   …»
    «Du hast zu antworten, Graf», unterbrach ihn der Mann. «Der große Ragnar besteht darauf, die Form zu wahren. So, wie es sich für ehrenhafte Männer gehört!»
    Siegfried zuckte mit den Schultern. Er nannte seinen vollständigen Namen und seine Stellung in der Stadt.
    Der Rheinländer übersetzte, und Ragnar hörte aufmerksam zu. Dann sprach er.
    Als Ragnar geendet hatte, sagte der Übersetzer zu Siegfried: «Der große Ragnar Loðbrœk entstammt dem Geschlecht der dänischen Skjoldunge. Ragnar hat auf der ganzen Welt Kriege geführt und in Irland mit seinen eigenen Händen den König Melbrighde getötet. Für deine Stadt hat er einhundertundzwanzig Langschiffe aufgeboten. An einem einzigen Tag hat er deine Festung eingenommen, die du für deinen König Karl hättest bewachen sollen   …»
    Bei dem Stichwort Karl unterbrach Ragnar den Mann und rief ihm etwas zu. Der Übersetzer sagte mit dem Anflug eines Lächelns: «Du sollst von Ragnar wissen, Graf,dass dein König nicht mehr ist als ein fettes, feiges Weib. Er soll herkommen, um sich Ragnar im Kampfe zu stellen. Ragnar hat keine Achtung vor Männern, die   …»
    Aber der Rheinländer brachte den Satz nicht zu Ende. Von der Tür her hatte jemand Siegfrieds Namen gerufen.
    Ragnars Augen blitzten gefährlich auf.
    «Wer wagt es, den großen Ragnar zu unterbrechen?», rief der Übersetzer.
    Ratpot, der Stellvertreter des Grafen, betrat den Raum. «Ihr könnt euch wohl kaum beschweren», sagte er großspurig. «Ohne meine Hilfe hättet ihr diese Stadt niemals erobert.»
    Dem Häuptling entglitten die hochmütigen Gesichtszüge, nachdem ihm die Worte übersetzt worden waren.
    Siegfried starrte Ratpot entgeistert an. «Du hast in der Nacht das Stadttor für die Barbaren geöffnet?»
    «Ja, das war ich», erwiderte Ratpot, überheblich lächelnd. «Ich soll dir einen Gruß ausrichten von Kaiser Lothar, dem rechtmäßigen Herrscher über das gesamte fränkische Reich.»
    Siegfried war fassungslos. «Du paktierst mit Lothar!»
    «Nenn es, wie du willst. Du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass Lothar sich auf Dauer mit dem Mittelreich zufriedengibt, flankiert von seinen hinterhältigen Brüdern.»
    «Aber der Frieden ist vor zwei Jahren mit dem Vertrag von Verdun besiegelt worden», warf Siegfried ein.
    Im Jahre 843 hatten sich die heillos zerstrittenen Brüder Karl, Ludwig und Lothar, die Enkel Karls des Großen und die Söhne Ludwigs des Frommen, in der Stadt Verdun auf eine Dreiteilung des ehemaligen Großreiches geeinigt.Karl hatte das Westfrankenreich erhalten, Ludwig das Ostfrankenreich und Lothar das Mittelreich von Friesland bis Burgund sowie die Kaiserwürde.
    Ratpot machte eine wegwerfende Handbewegung. «Verträge kann man aufkündigen. Lothar ist der rechtmäßige Erbe des gesamten Reichs.»
    Siegfried sackte mutlos zusammen. «Jetzt wird mir einiges klar», sagte er. «Lothar lässt von den Normannen Paris einnehmen, um Karls Macht zu schwächen und somit den Krieg wieder aufzunehmen.»
    Ratpot grinste. «Du bist schlau, Siegfried. Karl hat dich nicht ohne
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