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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden
Autoren: Axel S. Meyer
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    Da hastete ein zweiter Mann durch das Kirchentor. Eswar ein Markthändler, bei dem Odo und Alexandra hin und wieder getrockneten Fisch kauften. Er hielt sich den Oberarm, Blut rann zwischen seinen Fingern hindurch.
    Der Mann schaute sich um, Todesangst im Blick, und rief: «Die Normannen! Sie sind in der Stadt. Sie sind überall!»
    «Schließt die Tür!», befahl Jakob.
    Er versuchte, die Gemeinde zu beruhigen. Aber es war aussichtslos. Sofort versuchten einige, aus der Kirche zu fliehen. Sie trampelten über den Körper des erschlagenen Mannes hinweg. Gleichzeitig drängten andere Menschen von draußen in das Gotteshaus. Während die einen auf den göttlichen Schutz in den festen Mauern der Kathedrale hofften, befürchteten die anderen, Saint Etienne könne zu einer tödlichen Falle werden. Man rempelte und schubste, stieß und schlug zu.
    Allisa, die einen Kopf größer war als Odo, krallte sich an ihm fest. Tränen strömten aus ihren weit aufgerissenen Augen.
    Jakob bekreuzigte sich. «Bleibt hier», rief er laut. «Die Heiden werden es nicht wagen, unsere Kirche anzugreifen.»
    Odo erinnerte sich jedoch an die Worte seines Vaters. Die Normannen hatten die Mönche in den Klöstern Rouen und Jumièges getötet. Warum also sollten sie Saint Etienne verschonen? Kurz entschlossen ergriff er Allisas Hand und zog das weinende Mädchen hinter sich her. Sie drängten sich durch die kreischende Menge – aber die Eingangshalle war versperrt. Eine undurchdringliche Wand aus Menschenleibern verstopfte das Portal. Männer und Frauen prügelten aufeinander ein, um sich den Weg in die jeweilige Richtung freizukämpfen.
    Odo und Allisa waren gefangen, sie konnten weder vor noch zurück. Der Druck der sich immer dichter zusammenschiebenden Meute schnürte Odo den Atem ab, als plötzlich Bewegung in die Menge kam. Ceparius, der neben ihm gestanden hatte, schob die Menschen mit brachialer Gewalt wie eine Bugwelle vor sich her.
    «Ihr Feiglinge!», brüllte er. «Los, raus mit euch – kämpft!»
    Andere Männer schlossen sich ihm an. Mit vereinten Kräften drückten und schoben sie. Als ziehe man den Korken aus einer Weinflasche, löste sich der Stau in der Eingangshalle auf. Odo, Allisa und alle anderen Menschen, die sich im Gang vor dem Portal aufgehalten hatten, wurden mit aus der Kirche geschwemmt.
    Auch auf der Straße herrschte ein heilloses Durcheinander. Einige Leute waren hingefallen, Nachkömmlinge purzelten über sie hinweg. Ein undefinierbares Knäuel aus Köpfen, Armen und Beinen wälzte sich auf der staubigen Straße.
    Odo konnte gerade noch rechtzeitig zur Seite springen, um nicht ebenfalls über die Menschen zu stolpern. Er zog Allisa hinter sich her und kam atemlos neben dem Eingang zum Stehen.
    Kurz darauf erschien Ceparius in der Tür. «Kommt her, ihr Barbaren», brüllte er und schaute sich siegessicher um. Dann entdeckte er etwas, das ihn verstummen ließ. Sein Gesicht verklärte sich zu einem Grinsen.
    Odo folgte dem Blick, und zum ersten Mal in seinem Leben sah er einen leibhaftigen Normannen aus nächster Nähe.
    Der Anblick war irritierend. Odo hatte einen kräftigen Krieger erwartet, an dessen Gürtel die Schädel geköpfterMönche baumelten. Aber dieser strohblonde Normanne, der ihnen Worte in einer fremden Sprache entgegenschleuderte, war kaum größer als Allisa. Er war höchstens fünfzehn Jahre alt, und auf seinem Kinn spross anstatt eines dichten, wilden Bartes nur ein zarter Flaum. Auch das kurze Schwert, das er fest umklammerte, war kaum das eines todbringenden Kriegers.
    Ceparius hatte mit einem Mal eine blutverschmierte Axt in der Hand. Mit einem Schaudern begriff Odo, dass es die Waffe war, die im Rücken des Getöteten gesteckt hatte. Die Axt schwenkend, kletterte der Mann über den Menschenberg hinweg und bewegte sich auf den Jungen zu, der jedoch keinerlei Anstalten machte zurückzuweichen.
    «Fahr zur Hölle, Abschaum», zischte der Gemüsehändler und holte aus.
    Der Junge zuckte zurück. Doch das Beil traf sein Gesicht und schlug eine Wunde, die von der Stirn bis zum Kinn reichte. Als Ceparius erneut ausholen wollte, um dieses Mal einen tödlichen Schlag auszuführen, fiel ihm die Axt plötzlich aus der Hand. Er sackte mit einem gurgelnden Laut in sich zusammen. In seinem Nacken steckte eine Lanze, die seinen Hals durchbohrt hatte und deren Spitze unter dem Kinn wieder ausgetreten war.
    Da sprangen plötzlich mehrere Männer mit ohrenbetäubendem Gebrüll hinter der Kirche
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