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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden
Autoren: Axel S. Meyer
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hervor, wo sie auf ihren Einsatz gewartet hatten. Sie waren mit Äxten, Schwertern und Lanzen bewaffnet; buschige Bärte hingen ihnen über ihre Kettenhemden, die unter dichten Brauen fast verborgenen Augen blitzten angriffslustig.
    Allisa zog Odo am Ärmel, aber er konnte sich nicht von dem Anblick losreißen.
    Ein Normanne, ein großer Kerl mit gewölbter Stirn und stahlblauen Augen, stemmte einen Fuß auf Ceparius’ Schädel, als trete er auf einen Holzklotz. Mit einem Ruck zog er die Lanze aus dessen Hals.
    Der junge Normanne stand noch immer mit blutüberströmtem Gesicht unbeweglich da. Jetzt verzog er seinen Mund – und lachte. Er fuhr sich mit der Rechten durch das Gesicht und leckte sich das eigene Blut von der Hand, als wäre es süßer Honig.
    Der ältere Krieger klopfte dem Jungen anerkennend auf die Schulter. Dann ließ er ihn vortreten zu den vor der Kirche liegenden Menschen, die bei dem Anblick der wilden Männer erstarrt waren. Die Krieger bauten sich vor den wehrlosen Menschen auf – darunter alte Männer, Frauen und Kinder   –, und auf das Kommando des Blauäugigen hin schlug der Knabe mit seinem Schwert einem um Gnade flehenden Mann eine tiefe Wunde ins Gesicht.
    Die Krieger johlten vor Begeisterung. Dann begannen sie mit ihrem gnadenlosen Mordwerk. Der Geruch von Blut und Schweiß vermischte sich mit dem Duft der Frühlingsluft, die mit einer sanften Brise von den Weinbergen her in die Stadt geweht wurde. Stahl blitzte auf. Menschen brüllten vor Angst und Schmerz.
    Und die Mörder lachten.
    Niemals wieder würde Odo den Anblick dieser von der puren Lust am Töten getriebenen Meute vergessen.
    Schließlich gelang es Allisa, Odo fortzuzerren. Fort von diesem schrecklichen Ort. Aber je weiter sie durch die Stadt liefen, desto deutlicher wurde das Ausmaß des Angriffs. Überall stießen sie auf Krieger, die wahllos und wie vom Wahnsinn getrieben die Stadtbewohner hinschlachteten.
    Wie durch ein Wunder nahmen die Normannen von dem Jungen und dem Mädchen keinerlei Notiz, und so erreichten die beiden unbehelligt den Marktplatz, auf dem die Pariser bereits alle Vorbereitungen für das heutige Osterfest getroffen hatten. Auf der Mitte des Platzes hatte man ganze Wagenladungen voll Holz für ein gewaltiges Feuer aufgeschichtet. Ringsherum waren Buden aufgebaut worden, in denen die Händler geräucherte Würste, Käse und Bonbons verkaufen wollten.
    Gestern noch war Odo voller Vorfreude über den Platz gelaufen. Er hatte hinter diesen und jenen Stand geschaut und es kaum erwarten können, am nächsten Tag mit seinen Eltern all die Freuden zu genießen, die das große Fest bereithielt.
    Heute jedoch war der Marktplatz ein Ort des Grauens. Normannenkrieger zogen in Gruppen umher und trieben sich die Flüchtigen gegenseitig in die Arme. Der Boden war mit Blut getränkt, abgehackte Gliedmaßen lagen verstreut herum wie auf dem Hinterhof einer Schlachterei.
    Und inmitten der Mörderschar sah Odo plötzlich einen Krieger, dessen Anblick ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ.
    Der mit einer Fellhose bekleidete Mann überragte die anderen Barbaren um Haupteslänge. Auf dem Kopf trug der graubärtige Krieger einen silberglänzenden Helm, unter dem schneeweißes Haar in Strähnen hervorquoll und ihm bis auf die Schultern fiel, um die er sich das Fell eines Braunbären geschlungen hatte. Seine Arme waren mit blauen Ätzungen übersät. Mit beiden Händen hielt er ein zweischneidiges Langschwert, mit dem er eine verheerende Schneise in die zusammengetriebene Menschenmenge schlug.
    Der Verderber!
    Odo hatte keinen Zweifel: Wenn der Teufel wirklich menschliche Gestalt annehmen konnte, dann war eine davon die dieses Kriegers, der mit ausdruckslosem Gesicht tötete, als gelte es, niemanden auf dieser Erde am Leben zu lassen.
    Als der Barbar sich mit kreisender Klinge einer jungen Frau näherte, die ein in Tücher gewickeltes Baby schützend an ihren Busen drückte, sprang ihm ein Mönch in den Weg. Der Krieger zog die buschigen Augenbrauen zusammen und hielt inne.
    Mit zum Himmel gerichteten Blick flehte der Mönch: «Herr! Lass dein Angesicht leuchten über deinem Knecht – rette uns durch deine Gnade! Herr, lass uns nicht zuschanden werden, denn ich rufe dich an! Zuschanden werden sollen die Gottlosen, verstummen im Totenreich   …»
    Das linke Augenlid des Kriegers zuckte nur einmal, bevor er zuschlug. Der Kopf des Mönchs flog in hohem Bogen durch die Luft und landete unweit der Stelle, an der Odo und
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