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Das Bourne-Vermächtnis

Das Bourne-Vermächtnis

Titel: Das Bourne-Vermächtnis
Autoren: Robert Ludlum
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das durchs ganze Haus zu hallen schien.
    Nach einiger Zeit sah der CIA-Direktor mit wässrigen Augen zu seinem Stellvertreter hinüber. »Warum hat er das getan, Martin? Warum hat Alex gegen sämtliche Vorschriften verstoßen und einen unserer eigenen Leute verschwinden lassen?«
    »Ich glaube, er hat geahnt, was kommen würde, Sir. Er hat Spalko gefürchtet. Und wie sich gezeigt hat, hatte er allen Grund dazu.«
    Der Alte lehnte seufzend den Kopf zurück. »Dann
    war’s also gar kein Verrat.«
    »Nein, Sir.«
    »Gott sei Dank.«
    Lindros räusperte sich. »Sir, Sie müssen den Befehl, Jason Bourne zu liquidieren, sofort aufheben, und wir müssen ihn ausführlich befragen.«
    »Ja, natürlich. Ich denke, dass dafür Sie am besten geeignet sind, Martin.«
    »Ja, Sir.« Lindros stand auf.
    »Wohin wollen Sie?« Die Stimme des Alten klang
    wieder gereizt.
    »Zum Chef der Virginia State Police. Ich habe ein weiteres Exemplar dieser Akte, das ich ihm hinknallen werde. Ich werde darauf bestehen, dass Detective Harris wieder eingestellt wird – mit einer Belobigung von uns.
    Und was die Nationale Sicherheitsberaterin betrifft …?«
    Der CIA-Direktor griff nach der Akte, fuhr leicht mit der Hand darüber. Dabei wirkte er etwas lebhafter, hatte wieder etwas mehr Farbe. »Lassen Sie mir bis morgen früh Zeit, Martin.« In seinen Augen erschien allmählich wieder der alte Glanz. »Mir fällt bestimmt etwas köstlich Angemessenes ein.« Er lachte, offenbar erstmals seit langem. »›Lasst die Strafe dem Verbrechen entsprechen‹, was?«
    Chan harrte bis zum Schluss bei Sina aus. Den Diffusor NX 20 hatte er mitsamt seiner grausig tödlichen Ladung versteckt. In den Augen der Sicherheitsbeamten, die auch in die Fernwärmezentrale strömten, war er ein Held. Sie wussten nichts von der Biowaffe. Sie wussten nichts über ihn.
    Für Chan war das eine merkwürdige Zeit. Er hielt die Hand einer sterbenden jungen Frau, die nicht reden und kaum atmen konnte, ihn aber offensichtlich nicht gehen lassen wollte. Vielleicht lag das einfach daran, dass sie nicht sterben wollte.
    Als Hull und Karpow erkannten, dass Sina im Sterben lag und ihnen keine Informationen liefern konnte, verloren sie das Interesse an ihr und ließen sie mit Chan allein. Und er, dem der Tod so vertraut war, erlebte etwas völlig Unerwartetes. Jeder Atemzug, den sie mühsam und schmerzvoll machte, glich einem ganzen Leben. Das las er in ihrem Blick, der ihn ebenso wenig losließ wie ihre Hand. Sie ertrank in der Stille, versank im Dunkel. Das durfte er nicht zulassen.
    Gegen seinen Willen wurde sein eigener Schmerz durch ihren an die Oberfläche gebracht, und er erzählte ihr aus seinem Leben: vom Umherirren im Dschungel, von seiner Gefangenschaft bei dem vietnamesischen Waffenschmuggler, seinem von dem Missionar erzwungenen Übertritt zum Christentum, von der politischen Gehirnwäsche durch seinen Folterer bei den Roten Khmer.
    Und dann wurden ihm, was am schmerzhaftesten war, seine Gefühle in Bezug auf Li-Li entrissen. »Ich hatte eine Schwester«, sagte er mit dünner, brüchiger Stimme.
    »Hätte sie überlebt, wäre sie jetzt ungefähr in deinem Alter. Sie war zwei Jahre jünger als ich, hat zu mir aufgesehen, und ich … ich war ihr Beschützer. Den Drang, sie vor Schaden zu bewahren, hatte ich nicht nur, weil meine Eltern das wollten, sondern weil ich sie beschützen musste. Mein Vater war viel auf Reisen. Wer außer mir hätte Li-Li bei unseren Spielen beschützen sollen?«
    Wider Willen hatte Chan heiße Tränen in den Augen, die seinen Blick verschwimmen ließen. Er wollte sich schamerfüllt abwenden, aber dann erkannte er etwas in Sinas Blick: leidenschaftliches Mitgefühl, das ihm als Rettungsanker diente, sodass sein Schamgefühl verschwand. Als er jetzt fortfuhr, fühlte er sich noch intimer mit ihr verbunden. »Aber letztlich habe ich Li-Li doch im Stich gelassen. Meine Schwester ist wie meine Mutter umgekommen. Auch ich hätte sterben sollen, aber ich habe überlebt.« Seine Hand tastete nach dem aus Stein geschnittenen Buddha, der ihm wie schon so oft neue Kraft gab. »Ich habe mich lange, sehr lange gefragt, welchen Zweck mein Überleben haben sollte. Ich hatte sie im Stich gelassen.«
    Als Sina leicht den Mund öffnete, sah er, dass ihre Zähne blutig waren. Ihre Hand, die er so fest umklammerte, drückte seine, und er wusste, dass dies eine Aufforderung zum Weitersprechen war. Er befreite nicht nur sie von ihrer Agonie, sondern auch sich selbst von
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