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Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman
Autoren: Carl Hanser Verlag
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vertraut, fast schon zärtlich um das Schiff, als sie sie allmählich hinter sich lassen: ein bewölkter sternenloser Himmel über ihnen, aber seltsam aufdringliche Zeichen von anderem Leben als ihrem eigenen, die jetzt auf beiden Seiten aufscheinen: flache Ketten von Küstenlichtern und die Schatten von Staten Island an Backbord, Brooklyn an Steuerbord.
    »Wir sind in den Narrows.« Arthur ist männlich für sie, verkündet ungebeten Informationen technischer Natur. Auf dem ganzen Deck tun Ehemänner und Liebhaber und Lebensgefährten dasselbe: belehren. Und Ehefrauen und Geliebte und Lebensgefährtinnen willigen ein, sich belehren zu lassen, genießen das Spiel.
    Wir sollten uns fotografieren lassen – das wird bleiben.
    Beth ist tief in Pullover und wasserdichter Jacke vergraben, die sie genau für so eine Gelegenheit eingepackt hat. Sie hat die meisten ihrer Sachen bekommen, mehr als sie erwartet hat, dank Narciso und zweier großgewachsener Stewards. Sie hat nicht gefragt, wie es Derek geht oder was er gesagt hat, und sie haben es nicht erwähnt. Arthur hat sie einmal geküsst, nachdem die Taschen abgestellt wurden und die Männer wieder weg waren, als wäre eine bedeutsame Hürde genommen worden.
    Art hat seinen langen Mantel an. Wenn sie sich an ihn erinnert, muss sie sich ihn nur darin vorstellen, dann wird das Bild klar bleiben. Und das ist gut, geistige Ökonomie.
    Es ist allerdings kein besonders dicker Mantel, und sie möchte nicht, dass er sich erkältet oder unwohl fühlt.
    Könnte dich zum Weinen bringen.
    Sie drückt seinen Arm.
    »Was?«
    Sie stellt ihm die zweite Frage, die ihr in den Sinn kommt. »Ist dir warm genug?«
    »Ja. Stellenweise. Vielleicht müssen wir gleich ein wenig spazieren, bevor ich steifgefroren bin. Wieso? Oder – wenn es dich nicht ärgert – darf ich vermuten, dass du beschlossen hast, für meine Körpertemperatur und mein Wohlbefinden verantwortlich zu sein …? Ich bin natürlich froh, dass es so ist.«
    Sie antwortet nicht, sondern umarmt ihn, während die gezähmte Brise sie zerzaust, nach Festland und später am Tag riecht, und nach einem anderen Land.
    Er küsst sie auf den Hals, »Hallo, Beth«, und erinnert sie ans Bett, an vorhin, an gestern und lässt sie spüren, wo er sich nicht rasiert hat. »Die hier bei mir ist.« Es ist gar nicht seine Art, sich nicht zu rasieren, nicht glattpoliert zu sein. »Und mir gehört.«
    Er sinkt weg, und sie bewegen sich auf Planken vorwärts, die kaum noch in Bewegung, die verblasst sind.
    Ich glaube, es würde ihm gefallen, wenn wir ein Foto machten. Aber wir haben keine Kamera.
    Wenn wir Francis treffen, werde ich ihn fragen, er wird uns helfen.
    Ich würde Francis gerne sehen. Er würde mich glauben machen, dass ich weiß, was zu tun ist.
    Und sie lässt die Hand auf Arthurs Rücken nach unten gleiten, stiehlt sich das Fallen seines Stoffs, wie er auch noch fallen wird, wenn sie nicht mehr bei ihm ist, und den langen Takt seiner Schritte, und wie er ihre Berührung mag, ihre Aufmerksamkeit.
    Um sie herum gehen Monologe über Tonnagen und Tiefgänge weiter, und Arthur hält an, dreht sich sanft, legt das Kinn auf ihren Kopf und schwankt mit ihr, obwohl das Schiff ganz still liegt.
    Sie wird sich an genau dies erinnern können, vielleicht für immer. Für immer fände sie am besten.
    »Was ist los, Beth?« Doch er klingt nicht besorgt; er hat nur das Recht, sich zu interessieren.
    »Ich würde gern ein Spiel spielen.«
    FRAU ENTDECKT, DASS SIE FEIGE IST, BEGEHT IHR VERBRECHEN AUF DIE EINZIGE ART, DIE IHR MÖGLICH IST.
    Absolut unverzeihlich.
    »Ich möchte aber eigentlich gar nicht spielen, Beth. Ich dachte, wir … sehen uns einfach die Sehenswürdigkeiten an. Wäre das nicht okay?« Er streicht ihr fragend über die Schultern. »Wenn das in Ordnung ist …«
    Ihr Mund ist unwillig, voll von der Kälte. »Ein Spiel. Bitte.« Ein gnadenloser Ort.
    »Na, wenn du bitte sagst …« Und fast wird er wachsam. »Was denn für ein Spiel?«
    »Es gibt eine Liste.«
    Art tritt von ihr weg. »Ich mag keine Listen.« Seine Füße stemmen sich aufs Holz. »Nicht mehr.« Er verschränkt die Arme, wartet jedoch, neigt den Kopf, um sie richtig zu hören. »Und wenn es eine Liste gibt, ist es kein Spiel – sondern ein Trick.«
    »Es gibt eine Liste.«
    Und darauf tritt er zur Seite und dann wieder näher und dann weg – der nervöse Gang eines Mannes, der wieder aufs Eis geraten ist – ein Schuh nach außen gedreht. Seine Schultern heben,
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