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Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Requisit.
    Es muss ein Requisit geben. Selbstgänger.
    Und sie greift hinein, um es zu finden, die Finger blind vor Kälte. »Ich habe etwas für dich. Ich habe es gemacht.«
    »Beth, bitte – «
    Und er bricht ab, als sie das Buch herauszieht – es liegt in ihrer Hand, ein freundliches Gewicht, weniger als eine Taube oder ein Turnschuh oder ein Laib Vollkornbrot. »Es gehört dir, Art. Ich habe es für dich gemacht.«
    Und: »Ich kann nicht.«
    Weil es ihm scheißweh tun könnte.
    »Beth.« Er nimmt es trotzdem von ihr an, und sie schwanken beide unsicher, und die Kamerablitze feuern weiter, retten die Augenblicke im Sterben, und die glänzende Statue steht verblüht auf ihrer Insel und fällt zurück, und Beth hat nur noch eine Anweisung zu geben.
    Zu schnell. Das Ende erwischt einen immer zu schnell.
    Dann muss sie ihn verlassen.
    Aber ich werde hingehen, wo er mich finden kann, wo es möglich wäre, mich zu finden, wo es möglich wäre.
    Und Beth sagt zu ihm: »Lies das Ende zuerst. Bitte.« Und wünscht, die Nacht würde die Worte zurückdrängen in die Stille ihres Mundes. »Du liest doch immer die Enden zuerst.« Wünsche.
    »Wenn du möchtest, dass ich es lese, dann muss ich bitte wissen, was es ist, Beth. Bitte. Denn ich kann nicht …«
    Jeder Augenblick rast vorbei und verschwindet.
    »Es ist dein Buch, Art. Das ist es – dein Buch. Denn ich kenne dich und habe dich erlernt, und es ist deine Geschichte. Es ist die Geschichte, die ich für dich geschrieben habe, und es ist deine Geschichte, und all die Teile, auf die es ankommt, die sind alle wahr.«
    Lies das Ende zuerst.
    Und ich verspreche, alles, worauf es hier ankommt, ist wahr.
    Dies ist für dich.

DIES IST FÜR dich, dein blaues Buch.
    Es ist hier in deiner Hand, und es möchte sich wie Berührung und Vertrauen anfühlen, und es möchte dir alles erzählen, aber es hat Angst und ist in deiner Hand und nicht vollkommen, ehe du nicht bei ihm bist und es sehen kannst. Es möchte leben können und dich auch sehen.
    Und es möchte sanft beginnen, ein wenig ausweichen und dich an Blaue Bücher, an Blaubücher erinnern – dass sie nämlich Geheimnisse sind.
    Blaue Bücher versammeln die Vertraulichkeiten von Handel und Handwerk, enthalten die Vervollkommnung jahrelanger Praxis, und sie sind Betrüger und Tricks und schändlich und verleugnet.
    Und kein Medium wird je zugeben, eines zu besitzen. Kein Medium wird je sagen, dass es alles gestohlen und notiert hat, was es von dir brauchte, dass es Protokoll geführt hat, um dich belügen zu können.
    Aber dieses blaue Buch ist wahr.
    Aus einem Leben gemacht.
    Dies ist dein Buch. Dies ist dein blaues Buch.
    Und dein Buch muss dir von einem Jungen erzählen – dass er witzig und klug war, und sein Haar honigblond und warm, als er geboren wurde, dass du es am liebsten berührt hättest und dass seine Augen vom Blau der Liebe waren, so blau, dass man erschreckte. Und als er heranwuchs, änderte sich sein Haar, wurde eher kupferrot und komplizierter, doch seine Augen waren ein ständiges Staunen, wie Licht, das sich in einem Glas fängt.
    In seinen ersten Stunden verzauberte der Junge seine Krankenschwestern. Dann wandte er seinen Charme anderen zu, obwohl er ein unauffälliges Baby war, im Allgemeinen nachdenklich, wie ein alter Mann, in ein kleines Skelett zurückgekehrt, der neu anfing und lümmelte und aufgebahrt war – entweder das, oder er geriet vor sich selbst in Panik, drückte sein Unwohlsein bis zu den Fußsohlen aus.
    Seine Mutter lernte, was ihn retten konnte: manchmal Bewegung, manchmal Halten, manchmal Musik, und manchmal besiegte ihn seine eigene Erschöpfung – und daran erkannte sie, dass er wie sein Vater war.
    Sein Vater, der nicht da war – der Junge kam aus dem Krankenhaus ins Haus seiner Großeltern. Seine Unterkunft war schwierig zu arrangieren gewesen, es war zu Geschrei und Brüchen und Unglauben gekommen. Doch dann tauchte der Junge eines Nachmittags auf, frisch wie Milch und in den Armen seiner Mutter – neu in ihren Armen – ein Wunder, das sich in ihren Armen bewegte – Fingerpacken und Nicken und Schauen und Schauen und Schauen, mehr als je ein Mensch geschaut hat – er verschlang jeden von ihnen mit Haut und Haaren: Großmutter, Großvater, Mutter – und fast sofort fiel der gesamte Haushalt in verschiedene Arten von Frieden und Trost und Freude an eigenartigen Zeitplänen und Beschäftigungen. Er machte alles anders.
    Er wurde ihre Faszination, und sie brachten ihm ihr
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