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Das Bett

Titel: Das Bett
Autoren: Martin Mosebach
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Darinherumlöffelns nicht weniger wurden. Der Appetit meines Vaters war mir nicht geheuer, und ich fürchtete sein Lob, da es meine Mutter dazu verführen würde, bald wieder eine Suppe zu kochen.
    Die Feststellung meiner Mutter, daß sie heute gebeichtet habe, hörte mein Vater mit Verlegenheit, da er nicht wußte, was er dazu sagen solle. Er hätte wissen müssen, daß ein Gespräch über religiöse Erlebnisse keinesfalls die Sache meiner Mutter war, da war nichts zu befürchten, denn sie stand unter dem Zwang, bei jeder Erwähnung der Religion eine skeptische oder amüsierte Äußerung folgen zu lassen, die den Gegenstand dem Gelächter preisgab, da blieb für Konfessionen kein Raum.
    |32| Tatsächlich begann sie auch gleich, über den Monsignore herzuziehen. Sie zog die Oberlippe bis zur Nase und schnüffelte mit gebleckten Vorderzähnen und gekrausten Augenbrauen herum, wie ich mir ein ungehaltenes, aber würdevolles Nagetier vorstellte. Mein Vater begrüßte die Vorstellung mit dankbarem Lächeln, mich selbst aber überzeugte sie derart, daß ich lange Zeit glaubte, meine Mutter habe bei einem wirklichen Eichhörnchen gebeichtet. Daran war für mich nichts Verwunderliches, denn ich hatte in den Metzgereien kleine Schweine aus Gips gesehen, die blau-weiße Metzgerblusen und schwachrot vom Blut ihrer Artgenossen gesprenkelte Metzgerschürzen trugen und Messer zum Säue-Abstechen in den Zehen hielten. Um ihre dicken Nacken lagen als Girlanden vielreihige Ketten aus kleinen Mettwürsten. Sie blinzelten sich zu und verbanden die äußerste Gefühlskälte mit einer gemütlich stimmenden Neigung zum Lebensgenuß. Warum sollten die Nagetiere nicht eben solche doppelten Anlagen besitzen? Wie ich wußte, waren sie zum Abscheulichsten fähig, was uns die sensible Lehrerin unseres bürgerlichen Stadtteils überhaupt zu schildern vermochte, nämlich zum Singvogelmord. Dazu wollte die geistliche Mahnung zu Besinnung und Einkehr zwar schlecht passen. Mehrere zueinander in Widerspruch stehende Eigenschaften kamen aber in der Tierwelt offenbar vor und mußten hingenommen werden. Die Menschen waren eindeutiger, sie waren gut oder böse, schön oder häßlich, groß oder klein, der Umgang mit ihnen war daher vorzuziehen.
    Plötzlich fragte meine Mutter: »Hast du eigentlich Frau Oppenheimer wiedergesehen?« Sie fragte mich mit einem Unterton in der Stimme, aus dem mir deutlich wurde, daß sie damit eigentlich meinem Vater etwas sagen wollte. Es ging ihr nicht darum, ob ich diese Frau gesehen oder nicht gesehen hatte, sondern zunächst und hauptsächlich um ihren Namen, dem sie einen bedeutungsvollen Klang gab. Ich war nur ein Vorwand, aber ein gut gewählter, denn es war möglich, daß ich Frau Oppenheimer gesehen hatte. Ich kannte ihren Sohn aus der Schule, und es kam vor, daß der Junge an den Wochenenden von |33| seinen Eltern mit dem Auto abgeholt wurde, da sie ein Landhaus besaßen und dort am Sonntag Tennis spielten. Ich wußte, daß meine Mutter gern über Frau Oppenheimer sprach, aber immer nur in Andeutungen, die für meinen Vater bestimmt waren und nicht für Kinderohren.
    Ob meine Mutter meine Unschuld schützen wollte oder ob sie glaubte, daß ich diese Unschuld schon verloren hatte, aber dennoch nicht auf schlechte Gedanken gebracht werden sollte, weiß ich nicht. Selbst wenn sie nicht mehr an meine Unschuld glaubte, so wußte sie doch wahrscheinlich nicht, wie früh ich sie schon verloren hatte. Bereits bevor ich fehlerlos sprechen konnte, war ich der mächtigen Verführung eines kraftvollen und wilden Geschöpfes erlegen, mit dem ich in meinem Bett Nacht für Nacht engumschlungen lag und mich des Schutzes seiner gelb behaarten Arme dankbar erfreute. Mein Teddybär, der, als ich ihn geschenkt bekam, größer war als ich, war ein fürstlicher Freund und Liebhaber, seine Küsse waren kühl, aber seine körperliche Gegenwart war fordernd und erregend. An seiner Seite erlebte ich die erschreckendsten Abenteuer. Und wenn sie bestanden waren, ertrug ich seine Zärtlichkeiten in der Haltung eines Leibeigenen, der in Wohl und Wehe von seinem Herrn abhängt. Der Weg, den wir nachts zusammen zurücklegten, war weit und gefährlich, und ich brauchte seine Nähe und sein mutiges Brummen, um aufzubrechen, sobald das Licht in meinem Schlafzimmer ausgemacht worden war. Zuerst befahl er mir, mein kleines Nachthemd auszuziehen, dann legte er seinen roten Mantel an und bedeckte auch mich damit, so daß die große Zahl der gehörnten
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