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Das Bett

Titel: Das Bett
Autoren: Martin Mosebach
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höchsten Hauses, das, als wir uns ihm näherten, zu brennen begann, und sagte mir ein paar höchst rührende Abschiedsworte ins Ohr, die von seiner Liebe zeugten und von seiner kraftvollen Sanftheit. Dann hob er mich hoch und warf mich weit hinein in das Feuer, wo ich liegenblieb, um zu verbrennen, und jenseits der Flammen stand der Bär und winkte mir zu; er nickte ernst mit dem Kopf und verließ mich wieder. Später konnte ich aus dem Feuer noch sehen, daß er sich unten auf der Straße ganz ruhig |36| mit Madame Wafelaerts unterhielt. Sie war nicht mehr gefährlich und fragte überhaupt nicht nach mir, was mich nicht wunderte. Sie hatte durchaus auch nette Seiten und hatte zu meinem Vater sogar einmal, kurz nachdem sie mir einen vergifteten Blick zugeworfen hatte, gesagt, indem sie auf mich zeigte: »O selig, ein Kind noch zu sein.« Mein Vater war gerührt und erfuhr dann noch manches über den Rennsport in den zwanziger Jahren, sie war redselig und freundlich. »Sie ist eine arme alte Frau«, sagte meine Mutter, aber der Hausmeister, der sowohl unsere als auch ihre Heizung versorgte, wußte Besseres: daß sie nämlich einen Glasschrank besitze, der von oben bis unten mit den herrlichsten Preisen gefüllt sei, aus Gold, Silber und Bronze, Vasen, Pokale und Medaillen, eine königliche Pracht. »Sie ist eine Belgierin«, sagte er, um meine Mutter auf diese vorsichtige und taktvolle Weise Lügen zu strafen.
    Madame Wafelaerts war ebenso plötzlich aus unserer Straße wieder verschwunden, wie sie vor meinen Augen aufgetaucht war. Wahrscheinlich hatte der Tod sie geholt und sie von ihrem Fahrrad gestoßen, als sie zu neuen Schandtaten ausfuhr. Sie konnte sehr schnell Fahrrad fahren, die rote Jacke wehte im Wind hinter ihr her, und ihre Brille wurde ihr ins Gesicht gepreßt. Auch mein Bär war auf einmal fort. Als er noch einmal wiederkam, trug er um den Hals einen hellblau gehäkelten Kragen, der seinen Kopf, den ich ihm abgerissen hatte, festhielt. Ich wandte mich von ihm ab, seine Verwundung hatte ihn für meine Zwecke unbrauchbar gemacht. Er verschwand dann endgültig und wurde einem lauten, unsauberen Kind geschenkt, das kleiner war als ich. Als ich in späteren Jahren jedoch begann, die Menschen in meiner Umgebung mit anderen Augen anzusehen, stellte ich mit Verwunderung fest, daß die Phantasien und Wünsche, die ich in bezug auf andere zu entfalten begann, eine Wurzel hatten, die ich längst kannte, weil aus ihr auch die Empfindungen gewachsen waren, die mich bei den Erlebnissen mit meinem Bären erfüllt hatten.
    Wenn meine Mutter Bratäpfel machte, waren die wirklich kalten Tage schon vorbei. Der Schweiß trat einem auf die Oberlippe, |37| wenn man sie aß, man brauchte frische Luft, ein offenes Fenster, vor dem die Vögel zwitscherten und die ersten grünen Blättchen sich bewegten. Die Aufmerksamkeit meiner Mutter war von Frau Oppenheimer abgekommen, sie nötigte uns, noch etwas zu nehmen, und beschrieb jedem am Tisch, der keinen Bratapfel mehr essen wollte, wie sehr ihre Schwestern in ihrer Jugend gerade solche Bratäpfel geliebt hätten.
    Eine der Tanten war Witwe, eine Kriegerwitwe, wie man mir sagte, so daß ich zunächst glaubte, die friedfertige Frau mit den Pudellöckchen über den Ohren sei mit dem Kriegerdenkmal des Dorfes verheiratet, in dem wir über lange Jahre unsere Erdbeeren gekauft hatten. Dort stand zwischen dem Pfarrhaus und der Kreissparkasse ein eiserner Soldat, den die Hoffnungslosigkeit seines kriegerischen Unterfangens düster und wild gemacht hatte, von den Augen war gar nichts unter dem Helmrand zu sehen, er stürmte nach vorn, aber seine übergroßen Stiefel steckten fast bis zu den Knöcheln in matschiger Bronze, die ihm das Vorwärtskommen erschwerte.
    Seine Kleider hatten nichts Uniformähnliches mehr, sie schlodderten ihm um den Leib, der aus purer Willenskraft bestand und der in das Zimmer der Tante strebte. Dort würde der Krieger ihr in die Augen sehen, und es stand fest, daß dieser Blick genügte, um auch die Tante in dunkelgrün angelaufene Bronze zu verwandeln. Daß sie den ihr von meiner Mutter so dringend angebotenen Bratapfel ablehnen mußte, war mir klar. Sie stand unter der strengsten Aufsicht und hütete sich, ihren Gemahl durch kleine Disziplinlosigkeiten zu reizen, selbst wenn sie an die Tage dachte, an denen sie für einen Bratapfel allerlei gegeben hätte.
    Warum auch die jüngere Schwester meiner Mutter, die angeblich noch viel lieber diese Nachspeise aß,
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