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Das Bett

Titel: Das Bett
Autoren: Martin Mosebach
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Schluck aus dem Kelch taktvoll zu verweigern. Sie war es, die mich auf diesen Altar aufmerksam machte und mir die geschnitzten Messerchen und Gäbelchen der Apostel zeigte, ihr kleines Tischtuch mit den erhabenen Falten, das gebratene Osterlamm, das seinen Kopf noch auf den Schultern trug, und den kleinsten Apostel, der an der Seite des Herrn Jesus eingeschlafen war wie mein kleiner Bruder an der meinen, wenn wir im Auto von Spaziergängen im Wald zurückkehrten. Über der heiligen Tischgesellschaft saß eine große Frau mit starrem Blick, die eine kleinere Frau auf dem Schoß hatte, die wiederum einen ernsten Säugling vor sich hinhielt, und links davon war ein Engel mit einer Waage zu sehen. In jeder Waagschale saß ein nackter Mensch. Die eine hing tief unten, die andere schwebte hoch oben, obwohl sich in diese Schale auch noch ein Teufelchen gesetzt hatte. Daß der leichte Mensch der böse war, konnte ich mit dem Wort von der »Last der Sünden« nicht vereinen, obwohl mir einleuchtete, daß der kleine Teufel nicht viel wog. Judas war wohl auf dem Weg zur Waagschale. Obgleich er schwer genug war, sich durch sein eigenes Gewicht das Genick zu brechen, würde er dort die Schale nach oben schnellen lassen vor lauter Leichtigkeit. Schwere Sünden, leichte Sünden – das blieben mir beständig unauflösliche Rätsel.
    Am Sonntag gingen wir nicht nur in die Kirche, sondern auch in den Wald. Wir liefen in der Kälte ein bißchen herum und atmeten die frische Luft. Der Wald war einförmig, überall wuchsen |12| halbhohe Tannenbäume. Dann und wann traten die Bäume zurück und boten einen Blick auf einen anderen Wald, der jenseits des Tales lag. Im Wald stand ein Wirtshaus, bei dem wir haltmachten und Kuchen aßen. Die Eltern saßen dann noch eine Weile am Tisch und sprachen über den Kaffee. Ich ging schon hinaus, denn im Vorraum der Gaststube gab es einen Gegenstand, den ich liebte und immer wieder betrachten mußte. In einem großen Glaskasten saßen sieben ausgestopfte Eichhörnchen zusammen an einem sorgfältig gedeckten Tisch mit deutlich gefalteter Tischdecke. Um ihre Hälse waren gestickte Servietten gebunden, in den kleinen Pfoten hielten sie Messerchen und Gäbelchen. Auf dem Tisch stand eine Wasserkaraffe und eine Menage mit Essig und Öl, Pfeffer und Salz. Die Gruppe mochte das Werk eines längst gestorbenen Forstgehilfen sein, geschaffen an langen Winterabenden in der Waldeinsamkeit. Gewiß, bei diesem Mahl nahmen nur sieben Gäste teil, es gab auch kein Lamm, sondern kleine Spiegeleier auf den Tellern, keines der Eichhörnchen war an der Brust seines Nachbarn eingeschlafen, alle waren hellwach und blickten sich konzentriert aus ihren hart funkelnden Glasaugen an, so daß es wohl keinem gelungen wäre, sein Portemonnaie zu ergreifen und sich heimlich davonzumachen. Aber die Verwandtschaft, die zwischen der Eichhörnchengesellschaft und den das Abendmahl haltenden Jüngern bestand, war doch groß. Ich sah eine Reihe von Personen um einen Tisch versammelt, und es kam mir vor, daß es zwischen den Aposteln und den Eichhörnchen mehr Verbindendes als Trennendes geben mußte, nachdem sich die sonst so verschiedenen Wesen erst einmal zu Tisch gesetzt hatten.
    Ich war ein Tagträumer, und wenn ich erst einmal eine unbestimmte Empfindung hatte, und ich war ungestört, so ergänzte ich mir in flüchtigen Bildern, was mir zur Erklärung meiner Empfindung fehlte. Nachdem ich die speisenden Eichhörnchen schon in die Gesellschaft der Apostel versetzt hatte, wuchs ihnen eine Heimat, eine Stadt, eine Lebensgeschichte wie von selbst zu, während die Eltern sich noch in der Gaststube unterhielten und wärmten.
    |13| Diese sieben Eichhörnchen stammten nämlich aus der schönen Stadt Ephesus und waren die Enkel eines alten Schuhflickers, der dort in einem Häuschen am Rande der Stadtmauer gelebt hatte. In dieses Häuschen waren nach seinem Tode die sieben Eichhörnchen eingezogen und führten sich gegenseitig den Haushalt. Das war eine schlimme Wirtschaft, denn die sieben Eichhörnchen waren alle miteinander schlechte Menschen. Das erste war groß und stark, herrisch und grausam, und die anderen fürchteten sich vor ihm wegen seines jähen Zorns. Das zweite war mager und wendig, dabei ein selbstsüchtiger Vielfraß, das alle anderen wegen der kleinsten Haselnuß verfolgte mit bohrendem Neid. Das dritte hatte den schönsten Schnurrbart, aber einen ewig ruhelosen Blick, eine aufdringliche Schmeichlergebärde, es war bar jeder
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