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Das Bett

Titel: Das Bett
Autoren: Martin Mosebach
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vor allem in ihrer Studentenzeit, sich weigerte zuzugreifen, als ihr die duftende Schüssel geboten wurde, ist mir hingegen nicht gleich klargeworden. Sie wehrte sich übrigens nur schwach.
    Ich weiß nicht, ob sie überhaupt etwas sagte oder ob ihre Weigerung nur in einem einverständlichen Blickwechsel mit meiner |38| Mutter bestand. Aber es ist sicher, daß sie mit meiner Mutter im Einverständnis gewesen sein muß, denn es wäre sonst unmöglich gewesen, einfach vom Angebotenen nichts zu nehmen, ohne damit eine wortreiche Beschwörung, doch wenigstens eine Kleinigkeit zu versuchen, auszulösen. Diese Beschwörungen wandte meine Mutter mit System an, und erst wenn sie am Ende dieses Systems angekommen und der Verweigerer der Speise immer noch hart geblieben war, ließ sie mit leichter Verstimmung von ihren Anstrengungen ab. Zunächst glaubte sie, im Gast die Vorstellung bekämpfen zu müssen, man sei auf seinen Besuch nicht eingerichtet, es herrsche Mangel in unserer Küche, schon die Familie allein finde nicht genügend zu essen in den Töpfen. Sie gab ihm dann zu erkennen, daß sie schon ahne, was er vermute, und bewies ihm, daß er sich im Irrtum befinde, daß viel gekocht und vorbereitet worden sei, daß in den Schüsseln noch die appetitlichsten Portionen lägen und überdies, wie sie sagte, noch jede wünschbare Menge draußen sei. Ihr nächster Verdacht richtete sich auf die Annahme, dem Gast sei das Essen zuwider, er suche nur einen Vorwand, um endlich nicht weiteressen zu müssen. Es war bemerkenswert, wie sie dieser Vermutung zunächst kämpferisch begegnete. Es drückte sich keine ängstliche Sorge aus in ihren Worten; sie pries ihre Gemüse, ihre Suppen, ihre Nachspeisen mit den gleichen Worten, mit denen ihr die Händler der Kleinmarkthalle Stunden zuvor ihre Produkte empfohlen hatten, ohne sich darüber zu wundern, daß ihr der Gast auf ihre Bemerkung, es handle sich bei dem vor ihm stehenden Gemüse wirklich um den allerfrischsten, ersten, frühsten und aromatischsten Rosenkohl, vorbehaltlos zustimmte und dennoch nicht bereit war, noch einen Löffel davon zu nehmen. Als letztes blieb ihr noch, die mögliche Sorge des Gastes zu widerlegen, der Rosenkohl könne seiner Gesundheit schaden, er könne die Funktionstüchtigkeit der inneren Organe ins Wanken bringen, er könne ihn gefährlich entstellen, unmäßig anschwellen lassen, er könne giftig sein. Sie wußte, wenn sie soweit gekommen war, alles über die heilende Kraft des Rosenkohls vorzubringen. Sie tadelte an ihrem Gast die Farbe seines Gesichts, bemerkte sein kränkliches Aussehen, |39| seine bedenkliche Magerkeit, der gerade durch eine leicht erhöhte Gabe Rosenkohls wieder abgeholfen werden könne. Der eben noch so würzige und kräftig schmeckende Rosenkohl verwandelte sich in ein pharmazeutisches Kraut, in ein Arkanum von alter, oft erprobter Kraft. Wer selbst auf diese Gründe nicht hören wollte, war eigensinnig und kindisch, er mußte eine kleine Strafe bekommen, und die Unmöglichkeit, einen älteren, der Familie nicht besonders vertrauten Gast auf seine hartnäckige Weigerung hin einfach sofort ins Bett schicken zu können, bereitete meiner Mutter ein solches Unbehagen, daß sie eine Weile verstummte, um die Wellen der üblen Laune, die in ihr hochstiegen, zu bekämpfen und nicht Wort werden zu lassen, was sich auf ihrem Gesicht schon allzu deutlich zeigte.

|40| II.
    Stephan Korn nahm, die Wünsche meiner Mutter wohl kennend, schon auf die erste, noch moderate Aufforderung seinen zweiten Bratapfel, als er überraschend an unserem Mittagstisch erschien, und ich vermute, daß es seine Folgsamkeit war, die meine jüngere Tante zu ihrer Ablehnung eines weiteren Apfels brachte, als sich die Schüssel ihr näherte, eine Ablehnung, die ungestraft und sogar unbesprochen blieb, und zwar, wie ich jetzt begriff, weil nur noch ein einziger Apfel in der Schüssel lag, der für meinen Vater bestimmt war, wie meine jüngere Tante wohl wußte. Stephan Korn, der dagegen nicht wissen konnte, daß der letzte Apfel bereits vergeben war, ahnte nicht, daß er, als er weit übersättigt an seinem zweiten Apfel nagte, damit die Nachspeise meiner Tante verzehrte, was ihm, dem immer Beflissenen, großen Kummer bereitet hätte. Aber meine Mutter erkannte das schnell entschlossene Opfer ihrer Schwester hoch an und warf ihr belohnende und ermutigende Blicke zu. Beide Frauen genossen diesen Augenblick, in dem sie durch kluge Verzichtleistungen bei Stephan Korn den
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