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Das Bett

Titel: Das Bett
Autoren: Martin Mosebach
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Eindruck der Fülle unserer Tafel erzeugten, und meine jüngere Tante hätte als Steigerung nur empfunden, wenn er dieses Opfer plötzlich entdeckte, innehielte, den Löffel und die Gabel sinken ließe, den Kopf höbe und ihre Augen suchte. Aber sie wußte, daß es töricht war, solche Wünsche zu hegen, denn gerade in der Verborgenheit lag der Sinn ihrer Tat, und es wäre sehr schlecht gewesen, wenn Stephan Korn gemerkt hätte, daß er ihren Apfel aß.
    Die Männer waren entrückte Wesen für meine jüngere Tante, |41| mit seltsamen, exklusiven Beschäftigungen und Interessen, an denen eine Frau keinen Anteil hatte. Männer sprachen in den kurzen Augenblicken des Tages, an denen man sie sah, unverständliches Zeug, anstatt in Ruhe zu essen und sich die ausführlichen Dialoge anzuhören, die meine Mutter mit dem Hausmeister von Madame Wafelaerts geführt hatte, oder sich endlich ein Bild über Frau Oppenheimers Lebensführung zu machen. Dann begehrten sie Kaffee und zogen sich in ihr Schreibzimmer zurück, wo sie telephonierten, mit der Papierschere Unsinn machten und lasen.
    So war ihr Vater gewesen, und so erlebte sie nun auch den Mann ihrer Schwester, meinen Vater, der sich allerdings freundlicher zu ihr verhielt, als es der Großvater getan hatte. Vor allem, nachdem ihm der Kehlkopfkrebs seine knarrende Stimme geraubt hatte, war für seine jüngste Tochter nur noch ein tonloses Krächzen übriggeblieben, einsilbig dazu, wenn man Laute, die keinen Vokal mehr enthalten, als Silben gelten lassen will.
    Der Mann ihrer älteren Schwester nun war zu all diesen Eigenschaften auch noch Krieger geworden – also überhaupt nie da – und, wenn er sichtbar wurde, abweisend und voll Wichtigkeit.
    Wie anders war Stephan Korn. Nicht daß es ihm an den äußeren Zeichen der Männlichkeit gemangelt hätte. Auch er war im Krieg gewesen, freilich auf der anderen Seite, dazu noch in Frankreich stationiert, vielleicht auch in Spanien? Das war nicht ganz deutlich geworden.
    Niemals hätte sich meine Tante allerdings Stephan Korn als Kriegerdenkmal vorstellen können: An ihm war nichts Schlammiges, Ölverschmiertes, Düsteres. Seine Melancholie war zart und stammte ganz sicher nicht daher, daß er wochenlang anhaltenden Geschützdonner hatte ertragen müssen, in einem Schützengraben womöglich und beim Schein einer Karbidfunzel. War er nicht überhaupt als Flieger damals in Frankreich? Wenn das zutraf, und es war gelegentlich, auch in Stephans Gegenwart, die Rede davon, dann jedenfalls sicher nicht als Kampfflieger, umwoben von der ritterlichen und zugleich tragischen Aura der Luftkämpfe, sondern etwas Leichteres, Unfaßbares, etwas halb |42| Ziviles, ein Nachrichtenflieger etwa oder ein Post- und Kurierflieger mit geheimem Auftrag, der seinen sportlichen Doppeldecker auf wie von Boucher gemalten französischen Waldlichtungen landete, um seine Sendung einem andern Mitglied der geheimen Organisation zu übergeben – einem beleibten Landpfarrer, der mit seinem Fahrrad plötzlich wieder verschwunden war, oder einem seine Sense schleifenden Bauern, der in einem der dekorativen Heuhaufen seine Maschinenpistole versteckt hielt.
    Für meine Tante hatte Stephan, wenn sie an seine Tätigkeit im Krieg dachte, Züge des Grafen Saint-Exupéry, den sie mit ihren Schülerinnen zusammen in jenem Teil des St.-Ursula-Gymnasiums las, der von den Bomben verschont geblieben war. Sie sah ihn vor sich, seine wenigen schwarzen Haare unter einer ledernen Fliegerkappe verborgen, das schmale Gesicht rechts und links von den offen getragenen Lederriemen umflattert, die an die barbarisch anmutenden seitlichen Gehänge der Stephanskrone erinnerten. Und sie wußte, daß er in seiner engen Kabine zwischen den blinkenden Metallteilen des Fußbodens stets einen Platz gefunden hatte, um dort eine Flasche alten Bordeaux zu lagern, die, wenn er sie öffnete, von der Hitze der laufenden Motoren angewärmt war. Dann hatte er sicher gelächelt, nach dem ersten Schluck möglicherweise noch einen zweiten und dritten genommen, und hatte die Flasche mit einer meine Tante überraschenden und zugleich tief treffenden Methode wieder verkorkt, indem er den Korken ganz leicht oben auf den Flaschenhals setzte, um ihn dann mühelos mit kleinen Schlägen der flachen, gespreizten Hand in die Flasche zu treiben; das war nicht eigentlich männlich in den Augen meiner Tante, sondern irgendwie charmanter – jungenhaft war das passende Wort –, aus dem sich ihr folgerichtig auch die
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