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Das Bett

Titel: Das Bett
Autoren: Martin Mosebach
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als düster in Erinnerung. Wir standen allein auf dem Schloßplatz, der von dem bedrohlich |509| wirkenden, rußgeschwärzten Balthasar-Neumann-Bau begrenzt wurde. Was machte mir das Bild einiger weniger Menschen, die sich in der zugigen Leere vor den dunklen Gebäudemassen verloren, derart einprägsam? Ich kann es bis heute nicht sagen. Die Eindringlichkeit solcher Bilder gleicht denen der Träume; was für den Träumenden ein quälendes Rätsel enthält, ist für alle anderen bedeutungslos und banal. Für mich aber wurden solche Erinnerungssplitter mit ihrem nur für mich unausschöpflichen Reiz zum eigentlichen Kern meines ersten Romans. Ich glaube übrigens, daß viele Romane und Gedichte solche Kerne haben, die dem Leser meist verborgen bleiben werden. Die Unmöglichkeit, mir den eigentümlich wehen, lustvollen Reiz dieser Bilder zu erklären, brachte mich auf eine andere Methode, mich mit ihnen zu beschäftigen. Ich behandelte sie wie kleine erhaltene Stellen eines großen, weitgehend verlorengegangenen Mosaiks, deren Umfeld es zu rekonstruieren galt. Ich fragte mich, wie der größere Zusammenhang aussehen müsse, in den diese meine wahllos aufbewahrten Erinnerungsbilder sich plausibel einfügen könnten. Was aus sich heraus nicht zu erklären war, sollte sich durch seine Einbettung in eine Geschichte erklären, oder besser in eine Atmosphäre, die dem bewahrten Bild etwas Selbstverständliches oder Bedeutungsvolles verlieh. Bei diesem Verfahren erlebte ich, wie mir der Stoff der Autobiographie tatsächlich sehr schnell zum bloßen Material wurde. Ich ging damit um, wie ich es gerade brauchte, um die stummen, vieldeutigen Bilder, die mich zum Schreiben bewegt hatten, zum Sprechen zu bringen. Die paradoxale Lage entstand, daß ich, um den mich beunruhigenden Motiven meiner Biographie näherzukommen, diese Autobiographie bedenkenlos umstellte und verfälschte.
    Verfälschen, um der Wahrheit von etwas näher zu kommen, das sich der einfachen Mitteilung verweigert, ist vielleicht ein Wesenszug der Literatur. Ihre fiktiven Paläste müssen in ihrem Innersten von einem realen Ungeheuer bewohnt sein wie von einem Minotaurus im Labyrinth des Königs Minos. Das Erfundene und Fabulierte muß sich um einen festen Kern herumspinnen, um ein anderes Bild zu gebrauchen, das immer schon mit |510| der Literatur in Verbindung gebracht worden ist. Das Überraschende besteht in dem Ergebnis, daß gerade das Luftige und Unsolide, das bloß phantasierte Drumherum das von ihm Verhüllte und Verborgene erst eigentlich sichtbar macht. Nach neunzehn Jahren erkenne ich die stummen Bilder, die mich damals zum Schreiben angeregt haben, deutlich wieder, aber ihre Wirklichkeit strahlt nun auf die sie tragende Geschichte des Romans herüber und suggeriert mir, es habe sich wirklich alles genauso zugetragen, wie ich mir das einst ausgedacht habe. Wenn das Gefühl solcher Wirklichkeit sich auch beim Leser, den mein Erinnerungszauber nicht interessieren muß, einstellt, hätte dies Buch sein Ziel erreicht.
    Es trifft sich, daß die Lektorin des Hoffmann & Campe Verlages, die sich beim ersten Erscheinen des Buches gegen viele Widerstände mit ganzer Kraft für ›Das Bett‹ engagiert hat, Jutta Siegmund-Schultze, an dem Tag, an dem ich diese Zeilen schreibe, zu Grabe getragen wird. Karl Corino hat mir bei der Durchsicht des Buches viele wertvolle Hinweise gegeben. Beiden gilt mein großer Dank.

    M. M., Frankfurt am Main, den 13. 8. 2002

Informationen zum Buch
    Stephan Korn, ein nicht mehr ganz junger Mann aus wohlhabender jüdischer Familie, kehrt nach dem ZweitenWeltkrieg aus New York in seine zerstörte Geburtsstadt Frankfurt am Main zurück. Dort sucht er seine alte Kinderfrau Agnes auf und legt sich wie in Kindertagen unter die dicken Plumeaux ihres Bettes. Das Rätsel dieser Reise wird faßbarer, je deutlicher sich die Welt abzeichnet, in der Stephan Korn lebt. Stephans Mutter, die herrische Florence Korn, die Baltin Aimée von Levem und die naive, idealistische Tante des kindlichen Beobachters und Erzählers bezeichnen die Spannungspunkte eines Kraftfeldes, aus dem Stephan nicht ausbrechen kann. ›Das Bett‹ ist ein Buch über die Sehnsucht, nicht erwachsen zu werden, und die geheime Schuld, die zur Vertreibung aus dem Paradies der Jugend führt.

Informationen zum Autor
    Martin Mosebach
, geboren 1951 in Frankfurt am Main, lebt dort seit Abschluß des Studiums der Rechtswissenschaften als Schriftsteller. Er schreibt Romane,
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