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Das Banner des Roten Adlers

Das Banner des Roten Adlers

Titel: Das Banner des Roten Adlers
Autoren: Philip Pullman
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einen Schluck ...«
     
»... Graf Otto - er hat die Fahne ...«
     
»... schick einen Mann Hilfe holen ...«
     
»... was war das? Hast du eine Stimme gehört?«
     
»... in den Bergfried - schnell ...«
     
»... lebt noch!«
     
Denn Becky wollte sprechen, auch wenn es nur Geister waren.
    Ein Mann trat in die Türöffnung, schon älter, mit grauem Backenbart, und machte
eine besorgte Miene. Er sah sie, wandte den Kopf, um nach Hilfe zu rufen, und
kletterte mühsam den Schutthaufen hinauf. Oben streckte er die alten, zitternden
Finger aus wie ein Großvater, der seinem Enkelkind aufmunternd zuwinkt, es möge
ihm entgegenkommen, damit er es fassen könne.
Da erst wurde ihr klar, dass alles vorbei war.
Zwanzig Die Schweizer Klinik
    Die Leute aus Andersbad brachten die Lebenden und die Toten, gleichgültig ob
Deutsche oder Raskawier, hinunter in ihre Stadt. Die kalte, unbequeme und melancholische Reise endete im Medizinischen Institut des Kurorts, das sich nach und
nach mit Verwundeten füllte, die zusammengesunken in den Gängen saßen oder
bewusstlos auf den Stationen, in der Klinik für Wassertherapie oder im leeren
Dampfbad
lagen.
Die Ärzte,
gewohnt,
die Beschwerden
von
Erzherzögen
und
Baronen zu kurieren, taten, was sie konnten, wenngleich sie sich mit Gicht und
träger Verdauung besser auskannten als mit Stich- und Schusswunden. Das Heilwasser war gut, wirkte aber keine Wunder, wie es die Broschüren verhießen. Der
ärztliche Direktor wies seine Kollegen an, die Patienten einzuteilen in solche, die
warten konnten, solche, die sowieso sterben würden, und solche, bei denen eine
sofortige Operation lebensrettend sein könnte. Auf diese dritte Gruppe sollten sie
sich konzentrieren, und so kamen sie um halb drei Uhr nachmittags dazu, sich mit
Jim zu beschäftigen.
    »Dieser Bursche ist wohl überhaupt nicht tot zu kriegen«, sagte der Chirurg. »Zwei
Kugeln -« »Drei«, korrigierte der Assistenzarzt und ließ etwas laut klirrend in eine
Porzellanschüssel fallen. »Drei Steckschüsse, vier offene Wunden - von Schwerthieben? Danach sieht es jedenfalls aus. Das wird man nähen müssen. Dazu noch
Hautabschürfungen, Unterkühlung ... Wer ist der Mann?«
»Sein Name ist nicht bekannt. Er trug einen Orden am Band; vermutlich ein Adliger.«
»Einer von uns oder einer von den anderen?«
     
»Oh, einer von uns. Die anderen sind alle sauber und gepflegt.«
    »Dann bringen Sie ihn in Sicherheit. Weitere Verletzungen?«
Ein stämmiger junger Mann mit einer Schnittwunde über dem Auge und einem
gebrochenen Schlüsselbein bahnte sich seinen Weg durch die mit Verwundeten belegte Eingangshalle bis zu dem Platz, wo Becky, halb benommen vor Schmerz,
mitten in der Zugluft auf einem Sofa lag. »Fräulein Winter ...«
    »Karl! Sind Sie es? Gott sei Dank! Sind Sie ...« »Die Ärzte werden sich bald um den
gebrochenen Knochen kümmern. Sonst fehlt mir nichts. Und wie -« »Haben Sie
erfahren, ob -«
    »Die Königin? Ich weiß es nicht. Ich habe sie fallen sehen; ich glaube, man hat sie ins
leere Dampfbad gebracht. Das ist der Ort, wo man die ...« Sie wusste, was er meinte:
die Toten. »Oh, das nicht ... Aber was werden Sie jetzt tun?«
    »Ich schließe mich Graf Otto an. Er riet mir, mich hier zusammenflicken zu lassen
und dann zu ihm in die Berge hinter Neustadt zu kommen. Aber das dauert mir zu
lange, bis die Ärzte sich mit gehfähigen Verwundeten wie mir beschäftigen. Ich
möchte schon jetzt los.« »Schonen Sie sich! Bitte schonen Sie sich!« Karl war in die
Hocke gegangen, um leise mit ihr sprechen zu können. Nun nahm er ihre Hand und
küsste sie.
»Auf Wiedersehen, Fräulein Winter.«
     
»Oh, bitte nennen Sie mich Becky! Wenn Sie wirklich gehen wollen ...«
»Ich hoffe sehr, Sie wieder zu sehen, Becky. Wenn das alles hier vorbei ist ...«
    Sie waren verlegen voreinander. Dann erblickte Becky durch die Menge hindurch
Uniformierte, die an der Tür standen. Sie trugen saubere Uniformen, keine nassen
und schmutzigen, und ihr fremd: Deutsche? »Passen Sie auf sich auf«, flüsterte sie.
»Gehen Sie nun. Graf Otto ist bestimmt ein guter Anführer. Und bleiben Sie am
Leben ...«
Er küsste erneut ihre Hand und verließ sie.
     
Stunden später wollte der Arzt nicht hören, worum Be-cky ihn dringend bat.
    »Ruhig«, wiederholte er. »Bewegen Sie sich nicht und bleiben Sie ruhig. Das ist die
beste Therapie bei Rippenbrüchen. Die heilen wieder, aber wenn Sie nicht ruhig
bleiben -«
»Merken Sie denn nicht, dass Sie mich nicht
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