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Das Banner des Roten Adlers

Das Banner des Roten Adlers

Titel: Das Banner des Roten Adlers
Autoren: Philip Pullman
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Wahrheit
zu
veröffentlichen. Es ist einfach zu ungerecht, Mama, nach allem, was sie getan hat.
Aber Graf Otto kennt die Wahrheit. Und die Männer, die mit ihr kämpften, kennen
sie ebenfalls. Oh, Mama, wann* werden die Leute endlich hören?« Frau Winter
wusste es nicht.
    Am Nachmittag desselben Tages ging Sally Goldberg zum englischen Konsul, einem
beleibten
Herrn
mit
schroffen
Manieren.
Ihm
war
die Verärgerung
darüber
anzusehen, dass sie ihn aus seinem Studierzimmer hatte rufen lassen, wo er die
getrockneten und gepressten Mitbringsel von seiner Erkundung der alpinen Flora im
vergangenen Sommer mit Hingabe katalogisierte. »Ja? Was kann ich für Sie tun,
Madam?«
    »Ich habe mich gefragt, ob Sie mich über die Haltung der englischen Regierung zur
Invasion Raskawiens aufklären
können.
Wird unser
diplomatischer
Vertreter in
Berlin vorstellig? Wie sieht es mit der Sicherheit der englischen Bürger in Raskawien
aus? Und wie stehen wir zu den Anschlägen auf die Königin, die ja Engländerin von
Geburt ist?«
»Darf ich fragen, welches Interesse Sie haben?«
     
»Ich bin als englische Staatsbürgerin wegen dieser Angelegenheit beunruhigt.«
    »Aha.
Nun,
Raskawien
hat
keine große oder unmittelbare Bedeutung
für
die
Regierung Ihrer Majestät. Meines Wissens leben nur wenige Engländer in dem Land
und um deren Interessen kümmern sich die dortigen Vertreter Ihrer Majestät
nachhaltig. Was wollten Sie noch wissen? Wegen Berlin: Es ist seit langem die Politik
der Regierung Ihrer Majestät, zu den führenden Mächten herzliche Beziehungen zu
unterhalten. Deutschland ist eine Nation von größter Bedeutung; es liegt nicht in
unserem Interesse, in Dinge einzugreifen, die meines Erachtens interne deutsche
Fragen sind. Und schließlich Ihr letzter Punkt, ach ja, die berüchtigte Cockney
Queen. Wissen Sie, dergleichen geschieht in alten, dekadenten Königshäusern - sie
werden
zur
Beute von
Abenteurern
und
Hochstaplern,
die sich
ihr
Vertrauen
erschleichen. Wenn ich es richtig sehe, hat sie mit dem halben Staatsschatz das
Weite gesucht, haben Sie das nicht auch in den Zeitungen gelesen? War wohl eine
Revuetänzerin oder Schlimmeres. Wahrscheinlich ist sie jetzt auf dem Weg nach
Brasilien. Das gibt eine saftige Zeitungsstory. Aber, ich bitte Sie, Mrs, äh -Goldberg,
es ist nicht Aufgabe des diplomatischen Dienstes, Kriminellen, mögen sie auch
seltsame Gestalten sein, Beistand und Schutz zu gewähren. Nein, die Arbeit des
diplomatischen Dienstes ist seriös und, wenn ich so sagen darf, eine Sache von
Erwachsenen. Wir haben kein Interesse an der Cockney Queen. War sonst noch
etwas ...«
»Ich verstehe. Nein danke, ich habe keine weiteren Fragen. Guten Tag.«
    Über dem See wurde es schon dunkel, als die Krankenschwester zu Adelaide kam,
um ihr den Verband zu wechseln und mitzuteilen, dass sie einen Besucher empfangen könne.
»Aber nur für eine Stunde«, mahnte sie. »Sie dürfen sich nicht bewegen und müssen
Aufregung meiden. Sie brauchen Ruhe.«
    Adelaide runzelte die Stirn. Doch man behandelte sie hier gut und sie hatte nicht die
Kraft zu Widerworten. Die Krankenschwester half ihr, sich aufzusetzen, und legte ihr
den Morgenrock um die Schultern, ehe sie leise wieder das Zimmer verließ.
    Gegenüber dem Bett befanden sich Fenstertüren, die bei schönem Wetter Zutritt
zum Balkon mit Blick auf den See boten. Adelaide hatte keinen Sinn für landschaftliche Schönheit, zumindest nicht bis jetzt. Aber in den drei Tagen, die sie hier
zugebracht hatte, waren ihr die Wechsel in den Lichtverhältnissen und der Witterung fast genauso faszinierend vorgekommen wie vor kurzem noch die Diplomatie,
und ihr war aufgegangen, dass man für Bewegungslosigkeit mit Entdeckungen eigener Art entschädigt wird.
Ein ferner Pfiff ließ sie den Kopf nach links wenden, und dort sah sie die Lichter des
letzten Dampfers, der gerade ablegte und die dunklen Wellen zu pflügen begann.
»Adelaide?«
    Das
konnte
nur
Jim
sein.
Mit
klopfendem
Herzen
drehte
sie
den
Kopf:
Malakkastöckchen, Seidenkrawatte und grüne, ironisch funkelnde Augen - ja, das
war Jim. »Mein Wort«, zitierte sie, »sauber, aber trotzdem nicht knallig -«
    »Sagte der Affe, als er sich den Hintern rot anmalte -« »Und seinen Schwanz mit
einer erbsengrünen Schleife verzierte. Oh, Jim, ich liebe dich!« »Das freut mich zu
hören. Ich bin auf einen Kuss gekommen.«
Er beugte sich zu ihr, sie streckte die Arme nach ihm aus. Sie waren beide zu
schwach für einen längeren Kuss, doch
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