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Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima
Autoren: Franziska Wulf
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Saphir gestohlen? Doch sofort verwarf sie den Gedanken wieder. Jeder Dieb, der so geschickt war, am helllichten Tag unbemerkt in ein Haus einzudringen, in dem drei Personen anwesend waren, würde ohne Zweifel den Wert der Steine erkannt und beide mitgenommen haben.
    Beatrice legte den Kasten in ihren Schoß und sah in den Garten hinaus. Vor drei Jahren hatte sie ihre Eigentumswohnung im ziemlich noblen Stadtteil Winterhude gegen die Doppelhaushälfte in Billstedt eingetauscht. Die Renovierung des in den zwanziger Jahren erbauten Hauses war zwar immer noch nicht abgeschlossen, aber sie und Michelle fühlten sich hier wohl. Der Garten war ideal zum Spielen, und im Winter, wenn Beatrice noch abends vor dem Ofen saß und dem Prasseln des Feuers lauschte, fühlte sie, dass das Haus es gut mit ihnen meinte. Es beschützte sie. Und die vergangenen Jahre seit Michelles Geburt waren stürmisch genug gewesen. Die Kleine war ein halbes Jahr alt gewesen, als Beatrice ihren Erziehungsurlaub für beendet erklärt und ihre Tätigkeit in der
    Chirurgie wieder aufgenommen hatte. Natürlich mit voller Stundenzahl, denn eine Halbtagsstelle in der Chirurgie gab es derzeit nicht, nicht in ihrer Klinik und auch in keinem anderen Krankenhaus in der so sozialen und Freien Hansestadt Hamburg. Wenigstens waren ihr bisher die Nachtdienste erspart geblieben. Natürlich musste sie stattdessen wesentlich öfter als andere Kollegen an Wochenenden und Feiertagen arbeiten - allerdings nie zu Weihnachten. Und zufälligerweise hatte sie an Michelles Geburtstagen bisher immer frei gehabt. Oder war es am Ende gar kein Zufall? Thomas machte die Dienstpläne. Und vielleicht hatte sie diese Rücksichtnahme allein ihm zu verdanken? Nach dem, was er heute für sie getan hatte, war das nicht ausgeschlossen.
    Wenn ich wieder im Krankenhaus bin, werde ich ihn fragen, dachte Beatrice. Aber was jetzt? Was sollte sie jetzt tun?
    Denk nach, Bea!, ermahnte sie sich. Du musst herausfinden, was geschehen ist.
    Sie schloss die Augen und versuchte sich an alles zu erinnern, was sie über die Steine der Fatima wusste und gehört hatte.
    Da gab es diese Legende, dass die so genannten Steine der Fatima eigentlich das Auge der Lieblingstochter des Propheten Mohammed darstellten, welches vom Zorn Allahs über die Habgier der Menschen in viele Teile zerschlagen worden war. Es handelte sich um eine scheinbar unbekannte Anzahl Saphire von makelloser Schönheit und ungewöhnlicher Reinheit. Und jedem einzelnen dieser Teile sollte angeblich große Macht innewohnen.
    Was heißt angeblich, dachte Beatrice. Immerhin haben mich diese Steine bereits zweimal durch die Weltgeschichte in eine andere Zeit und ein anderes Land geschickt.
    Aber sollte das auch ihrer kleinen Tochter passiert sein? Das war doch unwahrscheinlich. Frau Alizadeh, die alte Araberin, die Beatrice den ersten Stein geschenkt hatte, als sie bei ihr eine Schenkelhalsfraktur operieren wollte, hatte zu ihr gesagt, dass man der Weisheit des Steins der Fatima vertrauen könne. Er lasse nichts ohne Grund geschehen. Bisher hatte Beatrice an die Wahrheit dieser Worte geglaubt, doch jetzt hatte sie Zweifel. Welchen Sinn sollte es denn haben, ein kleines Mädchen quer durch die Zeit reisen zu lassen? Michelle konnte niemandem das Leben retten, sie konnte keinem Volk einen medizinischen Fortschritt bringen. Sie war nichts weiter als ein hilfloses kleines Kind.
    Beatrice wurde schlecht, als ihr plötzlich bewusst wurde, was Michelle alles zustoßen konnte. Sie konnte irgendwo im mittelalterlichen Europa der Inquisition in die Hände fallen oder das Opfer einer Seuche werden. Sie konnte, wie es ihr selbst auf ihrer ersten Zeitreise ergangen war, in die Hände von Sklavenhändlern fallen. Oder bei den Azteken auf dem Altar landen, dazu auserkoren, ihr Leben zur Besänftigung ihrer ständig hungrigen, blutrünstigen Götter zu lassen. Alles war möglich.
    »Ich muss Michelle zurückholen!«, sagte Beatrice laut und stand entschlossen auf. Sie ging mit langen Schritten durch das Wohnzimmer, während sie mit wachsender Verzweiflung überlegte, wie sie das eigentlich anstellen sollte. Wie und wo sollte sie Michelle finden? Die Kleine konnte sich überall in der Weltgeschichte aufhalten, in jedem beliebigen Land, zu jeder beliebigen Zeit. Vielleicht befand sie sich ja in Versailles am Hof Louis XVI. und Marie Antoinettes zurzeit der Revolution? Oder sie irrte voller Angst durch die Steppe des von Engländern besetzten Ostafrika, von
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