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Das Archiv

Das Archiv

Titel: Das Archiv
Autoren: Leo Frank
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Sie tragen dich fast zum Rasierstuhl, heben dich hinein, sanft, alle lächeln glücklich, du bist die Sensation des Morgens. Sie legen dir heiße Tücher über dein Gesicht, du schließt die Augen, weil dir nichts anderes übrigbleibt. Einer massiert deine Nackenmuskeln, einer drückt dir diskret Mitesser oder Talgporen aus. Einer reinigt dir die Ohren, daß du schon ein ganz schlechtes Gewissen kriegst, und der Kleinste von allen putzt dir die Schuhe, selbst wenn sie schon geputzt sind. Besser für dich, wenn du die Augen erst gar nicht aufmachst. Laß die Burschen werken! Denn die eigentliche Prozedur kommt erst noch:
    Das Rasieren, weswegen du gekommen bist, spürst du kaum. Du hörst das Klicken der kleinen Schere in deinen Ohren, in deiner Nase, dann überschütten sie dich mit wohlriechenden Flüssigkeiten, reiben, massieren diese in deine gereinigten Poren. Dann kommen wieder die heißen Tücher, und du sitzt plötzlich aufrecht, und drei Männer fächern dir mit Handtüchern frische Luft ins Gesicht. Nun aufzustehen und zu bezahlen wäre ein grober Verstoß. Denn jetzt schütten sie dir eine blaue Flüssigkeit in die Haare und massieren zu zweit deine Kopfhaut so intensiv, daß du alles andere dabei vergißt. Einer schmiert dir eine Salbe ins Gesicht, verreibt sie so gründlich, als ob sein Leben davon abhinge. Der andere macht dir mit Föhn und Bürste eine Frisur – das hast du noch nicht gesehen –, und am besten, du schließt die Augen jetzt wieder und machst sie erst wieder auf, wenn sie dich fragen, ob du Kaffee haben möchtest.
    So also ist das im Mittleren Osten, wenn man zu faul ist, sich selbst zu rasieren. So ist das in Kairo oder Nicosia oder Beirut, vorausgesetzt, es wird dort nicht gerade geschossen. Vom Schießen aber konnte an diesem späten Jännertag in Kairo nicht die Rede sein. Alles war friedlich, die Sonne schien warm. Der Swimmingpool im Mena-House-Hotel war geöffnet. Bill war gestern geschwommen und hatte zwei Stunden lang in der Sonne gelegen. Die vielen Fliegen waren das einzige Störende. Am späten Nachmittag war er auf die Cheops-Pyramide geklettert, Mena-House liegt nur fünf Gehminuten von den Pyramiden entfernt und ist eines der teuersten Hotels in Kairo, nach dem Hilton und Sheraton. Abends hatte er sich in Sahara-City gelangweilt, in einer Nachtbar direkt bei den Pyramiden. Die Bauchtänzerinnen waren gut, die Preise Weltklasse. Sein Einzelzimmer im Mena-House hatte er heute früh gekündigt und war mit dem Taxi zum Flughafen gefahren. Zum Rasieren war er zu faul gewesen.
    Er war auch zu faul, sich einen leichten Anzug zu kaufen, was er ursprünglich vorgehabt hatte. Die alte Jeans und ein blaues Hemd genügten ihm, er konnte darin bequem Geld und Reisepaß verstauen. Und zudem sah man dann nicht aus wie ein Tourist, und die vielen shoeshineboys und Bettler auf der Straße ließen einen in Ruhe. Frisch rasiert und nach Rosenöl duftend schlenderte er also ins Flughafenrestaurant. Er fand einen kleinen Tisch neben den großen Glasfenstern, von wo aus man die Rollbahn und die startenden und landenden Maschinen beobachten konnte. Ein Ober brachte die Speisekarte. Bill bestellte nur einen Aperitif und vertröstete den Ober mit den Speisen auf später. Er sei verabredet, erklärte er, und das war er auch. Bill sah sich im Lokal um und rätselte, wer wohl die Observanten dieses Treffs sein könnten. Der lokale Resident des CIA war sicher beauftragt, die Verabredung zu beobachten und abzusichern. Die Spielregeln dürften sich in den letzten zehn Jahren wohl kaum geändert haben. Die beiden dunkelhaarigen Männer kamen in Betracht, die zwei Tische weiter Kaffee tranken. Oder dieses junge Paar. Die beiden lasen Zeitungen und redeten kaum. Die Frau stand jetzt auf und ging zum Telefon. Bill kaute intensiv an einem Kaugummi, das war außergewöhnlich, denn er mochte dieses Zeug nicht. Dann wechselte er den Platz auf die andere Seite des Tischchens, die Sonne könnte ihn gestört haben oder was auch immer.
    Er bestellte einen zweiten Martini, rauchte wieder und sah hinaus auf die Rollbahn.
    Es dauerte nochmals genau einen Martini lang, bis der Mann hereinkam, sich kurz umblickte und dann zu Bills Tisch ging. Er war etwa vierzig, tadellos gekleidet, sein blondes Haar war kurz geschnitten, und er trug eine Brille. Bill hatte den Mann noch nie in seinem Leben gesehen, und doch wußte er sofort, daß er es war. Er hätte ihn ebensogut in einem vollbesetzten Fußballstadion herausfinden
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