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Das Archiv

Das Archiv

Titel: Das Archiv
Autoren: Leo Frank
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seinen Freund. Bill und er hätten sich nie trennen sollen. Das war ein großer Fehler gewesen.
    Es hatte jetzt zu regnen aufgehört. Der Wind blies heftiger und heulte traurig um die Straßenecken, die Menschen spannten die Schirme ab und hielten sich die Hüte. Er könnte zu Polizeirat Hammerlang gehen, ihm alles erzählen. Er kannte Doktor Hammerlang von der Staatspolizei immerhin seit fünfundzwanzig Jahren oder länger. Hammerlang würde ihm glauben, natürlich, Herbert würde ja auch die Wahrheit sagen. Aber ihm helfen konnte der Polizeirat sicher auch nicht. Im Gegenteil, alles würde noch komplizierter werden. Schließlich war gerade ein erschossener Mann für die Polizei nicht etwas, das man einfach verschwinden lassen konnte. Polizeirat Dr. Hammerlang, das bedeutete ein Ermittlungsverfahren, tausend Fragen, es bedeutete, die Wahrheit sagen zu müssen. Eine Menge gefährlicher Unannehmlichkeiten also und schließlich das Ende des »Jobs«. Und wovon sollte Herbert Winkler dann leben. Seit fast dreißig Jahren verkaufte er Informationen an Geheimdienste.
    Hammerlang, das ging also nicht.
    Er mußte jetzt einen Kaffee haben. Wozu rasieren und ein Hemd anziehen? Ein Pullover und ein Regenmantel taten es auch. Er würde zu Fuß Richtung Innenstadt gehen, den Opel wollte er jetzt nicht anrühren. Irgendeine Kneipe in der Nähe würde schon offen haben. Er brauchte jetzt dringend einen Kaffee.
    Auf der Straße stellte Herbert Winkler den Mantelkragen hoch, der Wind fuhr ihm durch die Haare wie ein gereiztes Tier. Er ging hinüber zum Opel, sperrte auf, setzte sich hinter das Lenkrad, startete aber nicht. Er griff ins Handschuhfach, fühlte das kalte Eisen seiner 7.65er und hätte das Ding am liebsten in die Manteltasche gesteckt. Aber das wäre wohl blanker Unsinn gewesen. Er mußte sich von der Pistole jetzt ohnehin trennen. Ein blauer Citroen fuhr im Schrittempo vorbei, Herbert Winkler sah das Bremslicht rot aufleuchten und das Gesicht des Beifahrers, der sich umdrehte. Wahrscheinlich suchte er eine Parklücke. Er winkte ab, stieg aus und versperrte den Opel wieder. Der Citroen fuhr weiter.
    Fast vierzig Minuten mußte er flott stadteinwärts gehen, dann erst sah er das erste geöffnete Kaffeehaus. Er bestellte sich einen »Großen Schwarzen«. Eine üppige Blondine brachte den Kaffee, und er konnte den geringschätzigen Blick auffangen, den sie für den fremden, unrasierten Gast übrig hatte. Er sah diesem fetten Hintern im zu engen Rock nach und fand, sie habe kein Recht, geringschätzig zu blicken. Bluse und Schürze waren fleckig, und er hätte wetten können, ihre Unterwäsche war auch nicht am frischesten. Der Kaffee war heiß und tat ihm gut. Er trank einen zweiten. Dann bestellte er Gulasch mit Bier. Die Kneipe war gar nicht so übel, und man mußte heutzutage an Feiertagen froh sein, wenn ein Lokal überhaupt geöffnet war. Im Nebenzimmer wurde Billard gespielt, er konnte das Klicken der Bälle hören, auch das Fluchen der Spieler bei Fehlstößen. Am Nebentisch begannen zwei jüngere Männer Karten zu spielen; zu denen war die Kellnerin freundlicher, wahrscheinlich, weil sie gut angezogen waren. Es waren Ausländer, wie man hören konnte. Wahrscheinlich Gastarbeiter im Sonntagsanzug.
    Herbert Winkler versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Die Leiche konnte er heute nacht vielleicht doch noch irgendwo im Wienerwald abladen, wo man sie erst nach Tagen finden würde. Seine Pistole konnte er in den Donaukanal werfen, wo man sie nie mehr finden würde. Aber was dann? Damit waren vielleicht ein paar Tage gewonnen, aber die Geschichte war nicht ausgestanden.
    Wann hatte das Ganze begonnen, diese Geschichte, die jetzt offenbar ihr böses Ende nahm. War es unweigerlich das Ende? Es sah so aus. So wie die Dinge jetzt lagen, gab es keinen Ausweg mehr. In einer Strafanstalt, abgeurteilt wegen Mordes oder, wenn er Glück hatte, wegen Totschlages. Sah so seine Zukunft aus? Er war kein Jurist, aber ihn hätte das Strafausmaß interessiert, das ihn erwartete, wenn alles gerecht zuging. Sicher gab es so etwas wie Überschreitung der Notwehr. Aber was dann noch alles dazukam: unbefugter Besitz einer Handfeuerwaffe, Nachrichtenübermittlung für eine ausländische Macht. Womöglich noch Verleitung zum Mißbrauch der Amtsgewalt, wenn alles aufgeblättert werden würde. Vergehen gegen das Paßgesetz, wegen seiner gefälschten Ausweise, Betrug durch Verfälschung amtlicher Dokumente, eine ganz üble Speisekarte war das, die
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