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Das Archiv

Das Archiv

Titel: Das Archiv
Autoren: Leo Frank
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Attesten im Handschuhfach. Zu Rossmaneks Schrebergartenhütte brauchte er bei dieser Verkehrslage etwa dreißig Minuten. In einer Stunde ließ der Straßenverkehr stark nach, dann würde er es in zwanzig Minuten schaffen. Wie gesagt, Bill hatte keine Eile. Jetzt nicht und in einer Stunde nicht. Armer Zwinker-Kilian. Bill versuchte, sein aufkommendes schlechtes Gewissen zu beruhigen. In diesem Alter, sagte er sich, muß jeder wissen, was er tut. Wenn sich Zwinker-Erich unbedingt ins Spiel gedrängt hatte, war das seine Sache, sein Risiko. Die Spielregeln kannte er. Jeder ist seines Glückes Schmied. Oder der seines Unglückes. Er bestellte noch ein Bier. Achtzehn Uhr dreißig. Das frische Bier kam. Gulasch mit Knödeln sei sehr zu empfehlen, meinte der Wirt. Warum nicht. Achtzehn Uhr dreißig, wahrscheinlich war schon alles passiert. Eine Sekunde lang dachte Bill an seine Schulzeit und an Zwinker-Erichs Mutter. Wie sie sich um ihren engbrüstigen Buben gesorgt hatte. Er trank das Bier in einem Zug aus. Das Gulasch kam und dann noch ein Bier.
    Noch war Zeit, darüber nachzudenken, ob er einen Fehler gemacht hatte. Die Hälfte seines Geldes hatte er in seiner linken Rocktasche, mit einem Gummiring zusammengerollt. Es war noch genug. Die andere Hälfte lag im Handschuhfach des Opels bei den Briefen und Papieren. Sein Reisepaß! Er steckte in seiner inneren Rocktasche. Ja, er hätte Gelegenheit genug gehabt, bei Hammerlang zu erwähnen, daß er seinen Paß immer bei sich trug. Eine alte Gewohnheit. Das hatte er versäumt, aber das war kein gravierender Fehler.
    Der Wirt schaltete den Fernseher ein. Die zweiten Abendnachrichten kämen gleich, meinte er. Anschließend Sport. Ob sich der Herr für die Skirennen interessiere? Bill schüttelte den Kopf. Er wolle zahlen, sagte er. »Die Unsrigen haben wieder gewonnen«, meinte der Wirt. Er schien beleidigt wegen der Interesselosigkeit des Gastes an Skirennen. »Macht vierundsechzig fünfzig«, sagte er. Bill zog seinen Mantel an.
    »Neunzehn Uhr«, sagte der Fernseh-Sprecher, und ein Gong ertönte. Es folgte die Meldung über eine Demonstration von Atomkraftwerksgegnern vor dem Bundeskanzleramt. Die Leute haben Sorgen, dachte Bill. Er sagte »auf Wiedersehen« und ging. Neunzehn Uhr.
    Er fuhr langsam und stellte das Radio an. Es waren auch im Hörfunk Nachrichten, und Bill erfuhr, daß die Demonstration friedlich verlaufen war. Dann wurden die Reportagen vom Skirennen wiederholt. Bill schaltete aus. Er parkte den Wagen direkt vor der Gartentüre. Mit dem Benzinkanister aus Plastik und der neuen Reisetasche ging er auf die Holzhütte zu. Trotz der Dunkelheit sah er, daß die Tür offenstand.

 

    XXV
    Die Nachricht vom Tode des amerikanischen Staatsbürgers Bill Weiss hörte Polizeirat Dr. Hammerlang durch den Polizeifunk.
    Der Streifenwagen Delta 1 berichtete von einem Brand in der Schrebergartensiedlung Floridsdorf und der Auffindung einer vollkommen verkohlten Leiche. Führerschein, Zulassungsschein und andere Personalpapiere des Toten waren im Handschuhfach eines Opel 1700 gefunden worden, der vor dem Gartentor abgestellt war. Dasta-Anfrage ergab, daß das Fahrzeug auf den Namen Wilhelm Weiss zugelassen war. Vorbesitzer Herbert Winkler. Ein Testament und Abschiedsbriefe lagen neben den Ausweispapieren, ebenso ein höherer Geldbetrag.
    »Es dürfte Selbstmord vorliegen«, sagte der Beamte vom Streifenwagen Delta 1.
    Polizeirat Dr. Hammerlang hatte den Einsatz bei einer Demonstration von Atomkraftwerksgegnern vor dem Bundeskanzleramt geleitet und dann dem Präsidenten mündlich Bericht erstattet. Es war spät geworden. Er befand sich nun auf dem Weg zu seinem Büro. Delta 1 meldete gerade der Zentrale, daß die Beamten des Erkennungsdienstes zum Tatort gekommen seien. Auch die Untersuchungskommission und der Staatsanwalt seien eben eingetroffen. Hammerlang dirigierte den Dienstwagen um und war zwanzig Minuten später am Tatort. Leiter der Amtshandlung war Kommissär Dr. Tutter vom Bezirkskommissariat Floridsdorf. Er schien überrascht, aber keineswegs erfreut, als er den Polizeirat daherkommen sah und salutierte widerwillig. Hammerlang streckte ihm die Hand hin, die Dr. Tutter kaum übersehen konnte.
    Wilhelm Weiss sei ein Bekannter von ihm, erklärte Hammerlang. »Gewesen«, sagte Dr. Tutter, »er ist ja jetzt tot.« Und es täte ihm leid. Hammerlang blickte finster. Um das Beileid auszusprechen bestehe kein Anlaß, erklärte er weiter. Es sei eine dienstliche Verbindung
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