Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Archiv

Das Archiv

Titel: Das Archiv
Autoren: Leo Frank
Vom Netzwerk:
bzw. Bekanntschaft, keine private. Wilhelm Weiss sei in eine staatspolizeiliche Angelegenheit verwickelt. »Gewesen«, fügte Hammerlang hinzu. Der Polizeikommissär möge deshalb den Akt mit einer zusätzlichen Durchschrift anlegen und ihm diese zusenden, nach Abschluß der Erhebungen. Dr. Tutter sagte »jawohl« und notierte es sich. »Heute gegen dreizehn Uhr«, sagte Hammerlang, »hat mich Bill Weiss im Büro angerufen. Er äußerte Selbstmordabsichten. Ich habe es nicht ernst genommen.« Der Kommissär machte sich Notizen. Ob die Leiche identifiziert und zur Beerdigung freigegeben sei, wollte Hammerlang wissen. Dr. Tutter berichtete, die Erhebungen seien noch im Gange. Er müsse jetzt mit dem Polizeirat reden. Er ging. »Ich schicke den Durchschlag des Berichtes an Sie persönlich«, sagte er noch. Hammerlang sah ihm nach, beobachtete, wie er zu anderen Beamten ging, mit ihnen redete, ihnen zuhörte, sich Notizen machte. Wie die Beamten in dem verkohlten Haufen herumstiefelten, ab und zu einen Gegenstand aufhoben, fotografierten. Der Polizeirat war plötzlich sehr müde. Dieser Bill Weiss, warum zum Teufel sollte er sich umgebracht haben. Warum nur?
    Zwei uniformierte Polizisten stellten zusätzliche Scheinwerfer auf und schalteten sie ein. Irgendwo surrte ein Aggregat. Es wurde nun sehr hell. Feuerwehrleute gingen herum, jetzt konnte man die Uniformierten deutlich unterscheiden. Hammerlang war schon bei seinem Dienstwagen angelangt, als er jemanden seinen Namen rufen hörte. Dr. Tutter kam anmarschiert mit Papieren in den Händen. »Testament und Abschiedsbriefe des Verstorbenen«, sagte er. »Einer ist an Sie adressiert. Ist mir jetzt erst aufgefallen. Hier bitte.« Er übergab dem Polizeirat ein verschlossenes Kuvert und blieb unschlüssig stehen. Hammerlang öffnete den Briefumschlag und hielt ein Blatt Papier gegen das Scheinwerferlicht. Es waren nur ein paar Zeilen in Handschrift:
    »Lieber Herr Polizeirat«, las er. »Sicherlich wundern Sie sich sehr, aber ich kann und will nicht anders. Bitte sorgen Sie dafür, daß Herbert Winklers Sohn, der kleine Herbert Sommer, im Wege seiner Mutter Maria Sommer mein Geld und alles übrige aus meinem Nachlaß erhält. Testament und weitere Briefe liegen bei. Das Feuerwerk, bei dem hoffentlich kein Unbeteiligter zu Schaden gekommen ist, soll keine theatralische Demonstration sein. Es soll nur mein eigenes Begräbnis vereinfachen und dieses Archiv vernichten, das schon so viel Unheil angerichtet hat. Herzlichen Dank und leben Sie wohl.«
    Der Brief war datiert und unterschrieben. Hammerlang war eine Sekunde unschlüssig. Dann gab er den Brief dem Kommissär. »Nehmen Sie ihn zu den Akten«, sagte er, »Sie leiten schließlich diese Amtshandlung. Ich bekomme ja eine Ablichtung davon zu Ihrem Bericht.«
    »Natürlich«, sagte der Kommissär. Er war jetzt freundlicher. »Ich weiß nicht, ob Sie es wissen, Herr Polizeirat, der Mann litt an Krebs.«
    »An Krebs!?« Hammerlang schrie es fast. »Ja, es geht aus ärztlichen Attesten hervor. Wir fanden alles im Handschuhfach. Wir werden es überprüfen. Dürfte das Motiv der Tat gewesen sein.«
    »Aha«, sagte Hammerlang.
    »Spätestens übermorgen haben Sie den Bericht.«
    »Danke«, sagte Hammerlang, »gute Nacht.« Er stieg in den Dienstwagen. Er war schrecklich müde. Zu Hause nahm er ein Schlafpulver und öffnete noch eine Bierflasche. Sein Kopf war voll von Demonstranten, Atomgegnern, Archiven, Krebsgeschwülsten und Abschiedsbriefen. Seine Frau kam aus dem Schlafzimmer, im Flanellnachthemd und mit Haarwicklern. Sie sah die Bierflasche und ging gleich wieder. Sie hatte weder »grüß dich« noch »gute Nacht« gesagt, nur: »Jetzt trinkst du schon mitten in der Nacht.« Hammerlang hatte nicht hingehört. Es war noch nicht Mitternacht, erst zweiundzwanzig Uhr dreißig. Hammerlang ging zum Telefon, wählte die Nummer der Amerikanischen Botschaft. Warum sollte er diesen Cooper nicht stören und ihm sagen, daß es kein Archiv mehr gab. Kein Archiv und keinen Bill Weiss. Er zog die Schuhe aus.
    Ein diensthabender Beamter der Botschaft teilte ihm mit, daß Mr. Cooper für ein paar Tage verreist sei. Ob er etwas ausrichten könne?
    »Er soll mich anrufen, sobald er zurück ist«, sagte Hammerlang. Das sah diesen Diplomaten ähnlich. Erst taten sie furchtbar wichtig, dann gingen sie in Urlaub. Hammerlang trank sein Bier aus und ging ins Badezimmer.
    Die Nachricht von Bills Tod erfuhr Christa aus den Zeitungen. Findige
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher