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Das Archiv

Das Archiv

Titel: Das Archiv
Autoren: Leo Frank
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richtig heiß: »In Österreich haben wir die höchsten Selbstmordraten der Welt, besonders zu Weihnachten und zum Jahreswechsel. Das muß am Klima liegen oder an der Mentalität der Leute hier. Melancholiker, verstehen Sie? Ein Volk von Melancholikern . Aber Selbstmord, das ist doch nichts für Sie Mann, doch kein Ausweg für Sie!«
    Warum eigentlich nicht für ihn, wollte Bill wissen. »Weil ich Sie nicht für ein Arschloch halte«, brüllte Hammerlang. »Idioten bringen sich um und unbefriedigte, versoffene Weiber. Studenten, die viel zu früh und zuviel über den Sinn des Lebens nachdenken und keinen finden können. Mädchen in der Pubertät, im Dilemma zwischen Hirn und Fut! Doch nicht Sie, Bill Weiss. Sind Sie eigentlich besoffen am hellen Tag?«
    »Nein«, sagte Bill.
    »Wo sind Sie überhaupt, von wo rufen Sie an, Herr Weiss. Sind Sie zu Hause?«
    »Alles Gute, Herr Polizeirat. Und vielen Dank für alles.«
    Klick.
    So ein Schwein!
    Er hatte aufgelegt, bevor Hammerlang etwas über das Archiv fragen konnte. Der Polizeirat knallte den Hörer auf die Gabel. So ein Schwein!
    Und die Scherbler war noch immer nicht zurück.
    Als sie endlich kam, hatte sie rote Flecken am Hals und schnaufte, als ob sie gerannt wäre. Bevor er losbellen konnte, entschuldigte sie sich wortreich und lautstark. Sie habe eine Freundin getroffen, die sie schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen hatte. So was komme doch nur sehr selten vor, und sie sei doch sonst immer pünktlich. Zudem habe sie paar Besorgungen machen müssen. Und überall drängten sich die Menschen, als ob sie was geschenkt bekämen. Und die Verkäuferinnen seien manchmal sehr begriffsstutzig, das könne er sich nicht vorstellen. Er gehe ja nie einkaufen.
    Margarete Scherbler warf ihre Handtasche auf einen Sessel und drehte sich aus dem Mantel. Ja, ja, den Aktenvermerk schreibe sie gleich. Das war so gegen vierzehn Uhr. In einer halben Stunde konnte der Aktenvermerk leicht fertig sein. Margarete Scherbler ließ ihre Finger über die Tasten tanzen. Nicht die Verkäuferinnen waren schwer von Begriff gewesen, wohl aber ihr Miro. Das konnte ja nicht wahr sein! Viermal hatte sie ihm den Inhalt des Aktenvermerkes erklärt. Zweimal wollte er wissen, warum sie keinen Durchschlag mitgenommen habe. Die Adresse von Rossmaneks Schrebergarten schrieb er sich auf und war unglücklich darüber, weil sie ihm über die blöde Holzhütte nichts Näheres sagen konnte. Wie sollte sie denn, sie war ja nie dortgewesen in dieser miesen Vorstadtgegend. Eine Schrebergartensiedlung halt. Sieht doch ein Garten aus wie der andere. Nach Dienstschluß sollte sie wieder zum Telefonhüttl kommen. Zwischen die Seiten hundert und hunderteins solle sie das Kohlepapier legen. Das Kohlepapier, das sie gerade in die Maschine eingespannt hatte. Der Aktenvermerk war mit einem Durchschlag zu schreiben. Ein eingespannter dritter Papierbogen hätte auffallen können. Das mußte sogar Miro einsehen. »Ja, ja, Miro, ich mach das schon. Natürlich, bei jeder neuen Seite ein frisches Kohlepapier.« Sie war doch nicht vertrottelt. Die erste Seite war fertig. Margarete Scherbler faltete das Carboplan zusammen zu einem kleinen blauen Viereck und steckte es in die Handtasche. Dann legte sie ein neues zwischen zwei Blätter und spannte ein. Der senile Alte in der Telefonzelle war an Umständlichkeit nicht zu überbieten. Zuerst knöpfte er sich den Mantel auf und legte seinen Hut auf das Telefonbuch. Dann kramte er in der rückwärtigen Hosentasche nach einem kleinen Kalender, was durch die Enge in der Telefonzelle erschwert wurde. Eine Weile blätterte er in dem kleinen Kalender, hielt das Büchlein dabei weit von sich und kniff die Augen zu. Dann schüttelte er traurig den Kopf und begann seine Brille zu suchen. Sie war in einem Etui in der inneren Rocktasche. Mit der Brille auf der Nase gings dann leichter, das Etui lag nun neben dem Telefonbuch. Der Alte kramte in seiner Geldbörse und schüttelte wieder den Kopf. Miroslaw Slobodim stand vor der Zelle und rauchte bereits seine zweite Zigarette. »Komm schon, alter Trottel«, murmelte er. Die Glastüre öffnete sich. »Ach bitte«, sagte der Alte, »lieber Herr, könnten Sie mir vielleicht eine Schillingmünze geben? Ich meine einwechseln, lieber Herr.« Miro sah die offene Hand des Alten mit zwei Fünfziggroschen-Münzen. Er fischte einen Schilling aus der Westentasche und legte sie auf die Hand. »Nehmen Sie nur, lieber Herr«, sagte der Alte. Miro nahm die zwei
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