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Das Amerikanische Hospital

Titel: Das Amerikanische Hospital
Autoren: Michael Kleeberg
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verfiel in Schweigen. Dann sagte er: Gehen Sie ruhig, wenn Sie noch Termine haben. Ich bin soweit o. k. und muss ohnehin gleich zu meiner Sitzung.
    Hélène wollte irgendetwas Ermutigendes sagen, aber es fiel ihr nichts ein. Schließlich meinte sie: Wie kommen Sie eigentlich wieder zurück zu Ihren Husaren?
    Momentan gar nicht. Ich bin hier für ein paar Wochen stationär, sagte er.

    Verstehe.
    Ich habe mir die alten Fotos aus dem Ersten Weltkrieg angesehen unten, nachts, wenn ich nicht schlafen kann.
    Hélène lächelte mitfühlend.
    Es war übrigens noch ein berühmter Schriftsteller hier damals.
    Ach ja, und wer?
    Scott Fitzgerald oder, besser gesagt, seine Frau Zelda. 1925. Angeblich wegen einer Eierstock-Entzündung und einer drohenden Peritonitis. Aber das Gerücht will, dass es in Wirklichkeit eine Abtreibung war.
    Hélène lächelte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Krankenhaus Abtreibungen gemacht hat. Dafür gab es in Paris Frauen …
    Sie müssen mir irgendwann einmal von den Frauen von Paris erzählen, sagte der Amerikaner.
    Ich bin demnächst ja noch ein paar Mal hier, sagte Hélène. Wo kann ich Sie denn finden?
    Wenn Sie hier durchs Café und durchs Restaurant in die andere Richtung gehen in den Neubau und dann hoch in den zweiten Stock, Sektion 5, da gibt es einen Empfangstresen, die wissen, wo ich gerade bin.
    Hélène nickte. Alles Gute. Auf bald.
    Was ich Ihnen vorhin sagen wollte, war nur: Sie sind der einzige Mensch, den ich hier kenne.
    Hélène nickte und hob die Hand zum Abschied.

I ch wurde geboren, während mein Vater seinen Militärdienst ableistete in Algerien, erklärte Hélène bei ihrem nächsten Treffen auf seine Frage nach ihrer Abneigung gegen Krieg und Soldaten.
    Das war ja kein Krieg, wohlgemerkt, sondern eine Befriedungsmaßnahme gegen aufständische Elemente. O, ich habe sehr früh die Wörter gelernt, die er mitgebracht hatte: Bougnouls. Ratons. Nein, sie führten dort keinen Krieg, sondern jagten Ratten. Rattisage nannte sich das. Eine Vertilgungsaktion. Und während er fort war, hat meine Mutter sich einen Liebhaber genommen. Onkel Jean-Luc. Der war ein richtiger Soldat. Luftwaffe. Sie hat ihn auf dem Rummel kennengelernt, der Foire du Trône. Da trug er eine schicke blaue Uniform und schob den Kinderwagen, in dem ich lag. Natürlich erinnere ich mich daran nicht, aber es gibt Fotos. Sie im geblümten Kleid, Kokossandalen, zwei Luftballons in der Hand. Er mit angelegtem Gewehr vor der Schießbude. Ja, sonst hat sie das Baby meistens bei ihrer Mutter untergebracht. Ich weiß nicht, ob mein Vater das Trinken schon in Algerien begonnen hat oder erst nach seiner Rückkehr. Er ist gestorben, als ich vierzehn war. An einer Leberzirrhose. Aber von Algerien hat er nie erzählt. Ich weiß nicht wirklich, ob Algerien ihn umgebracht hat oder meine Mutter. Wahrscheinlich ist es so, dass Algerien
ihn so weichgeklopft hat, dass er meiner Mutter nichts entgegensetzen konnte. Natürlich auch deswegen nicht, weil er sie trotz allem abgöttisch liebte. Sie war eine sehr schöne junge Frau, bevor sie aus dem Leim gegangen ist. Und eine wilde, im Gegensatz zu ihrer älteren Schwester. Sie hat immer erzählt, sie habe einmal mit Miles Davis geflirtet, in Saint-Germain, aber ich weiß nicht, ob das stimmt. Wahrscheinlich nicht. Umgezogen sind wir, als ich drei war. Weg aus Paris, um diese Verbindung zu kappen. In eine brandneue Hochhaussiedlung nach Melun, die sie für die Pieds-Noirs hochgezogen hatten. Nur dass dann dort auch die Harkis hingingen und in den Siebzigern die Algerier. Da hatte er sie wieder vor der Nase, auf demselben Korridor, seine Bougnouls. La Pierre Collinée hieß diese Siedlung. Mittlerweile reißen sie sie wieder ab. Aber Melun war nicht weit genug weg von Paris.
    Ich mochte Jean-Luc gern. Er hat mir immer etwas mitgebracht. Wenn er am Nachmittag da war, musste ich mich auf den Balkon raussetzen, oben im elften Stock, wo wir wohnten, von wo aus man den Parkplatz im Auge hatte, und Bescheid sagen, wenn ich den blauen Panhard von Papa einbiegen sah, damit Jean-Luc Zeit hatte rauszukommen. Er im Treppenhaus runter. Papa im Aufzug hoch. Irgendwann hat meine Mutter nicht mal mehr das Schlafzimmer gelüftet, wenn mein Vater von der Arbeit kam.
    Hélène erinnerte sich an diesen Geruch nach Schweiß, Zigarettenrauch, Chanel N° 5 und ungemachtem Bett und an die ängstlich suchenden Augen ihres Vaters, wenn er die Wohnung betrat. Einmal erzählte sie ihm aus Mitleid von
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