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Das alte Siegel

Das alte Siegel

Titel: Das alte Siegel
Autoren: Adalbert Stifter
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geschlungen hatte. Es war zuerst gar kein Laut - dann ein Stammeln, ein leises Seufzen zur Erleichterung der Freudenlast - Herz an Herz, Mund an Mund, so gepreßt, als sollten sie nie mehr von einander lassen. In diesem Augenblicke fühlte Hugo, daß er lange, lange nicht gelebt habe.
    Da sie sich sanft seinem Arme entwandt, rief sie in dem schönen klingenden Deutsch, das sie sonst immer geredet hatte: »Hugo, Hugo, wo bist du gewesen - drei ganze lange Tage bist du nicht gekommen - dann hab' ich dich eilf Jahre - eilf völlige Jahre nicht gesehen! Ich habe dich gesucht, fast durch unsern ganzen Welttheil habe ich dich gesucht, mitten in Kriegen und Schlachten habe ich dich gesucht, und hier, hier, wo alles, was du rund umher erblicken kannst, mein und dein ist, hier mußte ich dich finden. Dionis, der dich heimlich von Paris her begleitete, schrieb mir erst vor fünf Tagen, daß ihr in unser Städtchen kommen und hier einige Zeit verweilen werdet. Ich habe den gestrigen Tag, da ihr Morgens kamt, kaum erwarten können.«
    Mit diesen Worten führte sie ihn zu dem Sopha, über dem er ein altes Bild, einen Ritter in wallenden blonden Locken darstellend, hängen sah.
    »Blicke nicht hinauf, sagte sie, ich werde dir alles sagen. O du theurer, du heiß geliebter Mann! alles, alles hat sich gelöset. Komme, sitze neben mir, wie einst - - o Hugo, ich bin jetzt gut; seit jene Last von mir genommen ist, bin ich so fromm, wie einstens du. - - Aber du hast dich geändert, unterbrach sie sich, du bist so ernst geworden.«
    Und sie sah ihn, da sie sich niedergesetzt hatten, mit den Augen so gut und so treu an, wie sie es sonst fast nie gethan hatte.
    »Bin ich ernster geworden, sagte er, so sind auch harte Jahre an mir vorüber gegangen. Cöleste, sei gegrüßt, sei viele tausend Male gegrüßt!«
    Bei diesen Worten hatte er zuerst ihre Hände gefaßt, und dann drückten sie sich wieder in die Arme. Hugo that es etwas zurückhaltender und mit noch feinerer Hochachtung, als sonst. Diese Scheu zierte den Mann nun unendlich schöner, als sie einstens den Jüngling geziert hatte.
    Mit sehr weicher Stimme sagte Cöleste: »Ich bitte dich Hugo, jetzt höre mich an, ich kann es gar nicht erwarten, daß du alles wissest, was du einst so großmüthig nicht gefragt hast - jetzt darf ich alles sagen - - aber du wirst nicht viel Zeit haben.«
    »Morgen um fünf Uhr beginnt mein Dienst wieder, von dem ich mich noch nicht verabschiedet habe,« antwortete Hugo.
    »Ich gebe dir Leute mit, sagte Cöleste, die dich beschützen, wenn du in der Nacht in das Städtchen zurückreiten mußt. Ach in dieser Novemberzeit wird es ja kaum später, als in einer Stunde schon Nacht werden.«
    »Ich beschütze mich selber, antwortete Hugo, lasse diese Dinge mich machen, Cöleste, und verkümmere uns mit ihnen nicht die Minute des Beisammenseins.«
    »So höre Hugo, aber ich bitte dich, höre mich bis zu Ende, sage nichts, kein Wort, bis alles aus ist, dann rede. Ich bin aus einem, wie sie hier sagen, vornehmen Hause Lothringens. Meine Muttersprache war deutsch; aber nur sie kannte ich, nicht Vater und Mutter, beide waren gestorben, ehe ich denken konnte. Mit fünfzehn Jahren befahl mein Vormund, daß ich vermählt würde, da sich eine Gelegenheit ergäbe, daß ein großes Vermögen zusammen käme und ein glänzendes Haus entstünde. Mein zukünftiger Gatte war fünfzig Jahre alt, und ich, die damals gar nicht wußte, was Liebe und Ehe sei, gehorchte dem Vormunde. - Hugo, höre mich ruhig. - Das glänzende Haus entstand aber nicht. Schon am ersten Tage unserer Ehe, weil damals in Frankreich eben die schweren traurigen Zeiten waren, mußte er sich flüchten, und ich wurde später zu ihm über eure Grenze geliefert. Seine Güter und auch die meinigen waren in den Händen seiner Gegner. Er war über diese Dinge sehr erbittert. Die große Summe, die er gerettet und mit sich genommen hatte, däuchte ihm nichts, und sein Groll wuchs täglich. Er verachtete seine Gegner unglaublich, und war der Meinung, daß eine Herrschaft dieser Art nur kurz dauern könne, und die alte Ordnung der Dinge sich wieder herstellen werde. Darum sagte er oft, wenn ihn seine Lage peinigte: »Das alles muß wieder kommen!« - Aber über eines war er trostlos und verzweifelnd: ich blieb nemlich kinderlos - - ach, Hugo, dasselbe Weib, das dein Entzücken und deine Wonne war, mußte körperliche Mißhandlung dulden. - - Ich lag oft auf den Knieen vor der gebenedeiten Jungfrau, ich, ein wehrloses
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